REUTLINGEN. Es ist ein weiter Weg, den das Publikum zurücklegt beim neuen Abend der audiovisuellen Reihe »Sonic Visions« am Samstagabend im franz. K: Nicht nur vom Saal hinauf zur Probenbühne und zurück, sondern auch stilistisch um alle Ecken. Der Abend beginnt mit einer Performance, die in punkigen Gitarrenlärm mündet, setzt sich fort mit Klängen, die sich überschneiden, visualisieren, und endet mit einem liedhaften Kammerkonzert, bei dem die Leinwand vor Farben, Mustern überfließt.
»Sonic Visions« wird kuratiert von Fried Dähn und Thomas Maos und bringt seit 15 Jahren audiovisuelle Kunst ins franz. K. Beide veranstalten auch das Camp-Festival als Workshop für Musiker und Künstler; es fand zuletzt im September in den Stuttgarter Wagenhallen statt. Zwei der Künstler, die sich an Camp beteiligten, sind nun im franz.K: Dan Wilcox ist Robotcowboy, Svitlana Reinish als visuelle Künstlerin Mitglied des Trios Alloy.
Ballartiges Wesen
Dan Wilcox ist Solist. Zunächst einmal ist er ein ballartiges Foliengeschöpf, das in den Saal rollt und sich manchem Zuschauer bedrohlich nähert. Aber das Alien ist harmlos: Auf der Bühne angekommen öffnet es sich, heraus steigt der Künstler. Oder ein zweites Wesen, das von ihm verkörpert wird: Robotcowboy.
Wilcox lebt heute in Karlsruhe, arbeitet für das ZKM, das Zentrum für Kunst und Medien. Er wurde geboren in Huntsville, Alabama, wo sich ein großes US-Raketenforschungszentrum befindet; sein Vater war Raketenforscher. Der Sohn nun, Ingenieur und Musiker, verbindet Science-Fiction-Fantasien mit Musik. Der Mythos des wilden Westens und der von den Sternen sind seine Themen. Seinem Kokon entstiegen beginnt er eine Performance als musikalische Mensch-Maschine, die Orgeltöne, Percussion und synthetische Kaskaden ausstößt, während er sich zuckend bewegt. Zuletzt steht er da und sagt lakonisch: »Bäng!«
Gespinste aus Licht
10-01, ein Künstlerduo aus Berlin, besteht aus Reto Weiche und Jonathan Steffens. Sie laden das Publikum ein in die Probenbühne des franz.K. Dort sitzt man im Kreis zu Boden, lauscht und schaut ins Dunkel, das sich langsam erhellt. Klänge stehen im Raum, wandeln sich, werden abgelöst. Lichter erscheinen auf den Wänden. Der Klang verdichtet sich, wird ohrenbetäubend, fällt zurück. Sinuskurven überlagern sich, Linien fließen über die Wände, lassen Gespinste aus Licht entstehen.
»Unser Grundgedanke«, sagen die Künstler, »ist es, die Ebene des Sounds und der Bilder aufeinandertreffen zu lassen. Wir haben festgestellt, dass es in beiden Bereichen zu Überlagerungen kommen kann, die sich ähneln, aber doch ganz anders sind.« Bild und Ton beeinflussen sich gegenseitig, addieren sich, lassen Interferenztöne und weitere Frequenzen entstehen, führen in eine erstaunliche abstrakte Welt.
Trio aus der Ukraine
Ganz anders das Trio Alloy. Svitlana Reinish, Anna Slizinova und Sergii Maiboroda stammen aus der Ukraine. Medienkünstlerin Reinish entfaltet auf der Bühne im großen Saal irisierende Muster und Farbwelten, die mit der Musik korrespondieren, dieser aber eine fremde, verwirrende, betäubende Anmutung verleihen. Vertraut ist die Musik dabei durchaus - Anna Slizinova ist eine Sopranistin von großer Ausdruckskraft, Sergii Maiboroda ein Virtuose auf Geige und Klavier. Alloy setzen Loops ein, spielen vor allen Dingen aber einen konventionellen Liederabend, der mit seinem intensiven Vortrag berührt und mit einer Auswahl, die von Opern-Arien über »Somewhere« aus Leonard Bernsteins »West Side Story« bis hin zu Gershwins »Summertime« reicht.
Die fließenden Farben, die komplexen Texturen in Schwarz-Weiß, die Reinish aufbaut, spiegeln die Emotionalität der Musik ins Publikum zurück – und erhöhen sie auch dann noch, wenn nur der dunkle Raum, die Stimme, der Klang des Klaviers zurückbleiben. (GEA)