REUTLINGEN. Gotthold Ephraim Lessings Drama »Nathan der Weise« ist ein kluges Stück. Eines, das gerade heute viel zu sagen hat, das weise von Frieden, Versöhnung und der Verwandtschaft aller Religionen spricht. Es ist allerdings auch ein Stück, das die Geduld seines Publikums strapaziert, so trocken und didaktisch kommt es daher - ein Ideenstück halt. Lessings »Nathan, der Weise« mit Schwung auf die Bühne zu bringen und dennoch mit dem gebührenden Ernst – das darf man für ein Kunststück halten. Bridge Markland gelingt es aufs Erstaunlichste.
Stimmen vom Band
Die Figurenspielerin aus Berlin tritt am zweiten Abend des Monospektakels auf, des Festivals für Solo-Theater an der Reutlinger Tonne. Am Abend zuvor hat der Darmstädter Christian Wirmer das Festival eröffnet mit seiner Adaption des Romans »Morgen und Abend« des Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse. Wirmer spielte im Spitalhofkeller, Bridge Markland spielt in der Tonne 2 im Neubau. Sie trägt orientalisch anmutende Kleidung, spielt mit einer Anzahl an Handpuppen, wechselt Kleidungsstücke, wechselt das Geschlecht – und spricht alle Rollen des Dramas, aber nicht mit eigener Stimme: Der gesamte Sprechtext kommt während ihrer Vorstellung vom Band; man hört eine Anzahl von Sprecherinnen und Sprechern.
Markland folgt jeder Silbe des Textes mit den Lippen, mimt ihr Sprechen ausdrucksvoll, verleiht ihren Puppen auf diese Weise doppeltes Leben – und gibt ihnen Musik: Denn jede Assoziationsmöglichkeit, die sich im Text bietet, wird aufgegriffen und durch oft nur sekundenlange Samples bekannter Pop-, Rock- oder Schlagersongs illustriert. Hinzu kommen Fragmente bekannter Filmmusiken: von der Netflix-Serie »Das Damen Gambit« über das Musical »Jesus Christ Superstar«, den Hollywood-Bibelschinken »Die zehn Gebote« bis hin zum Horrorstreifen »Das Omen«.
Nathan und die Popstars
Der Effekt ist frappierend, ungewöhnlich, sehr unterhaltsam: ein Theatertext, der fast schon synonym ist mit der humanistischen Tradition, wird eingefasst vom schillernden Fluss der populären Zitate neuerer Zeit. Unzählige dicht gesetzte Momente werden plötzlich farbig, vieldeutig, witzig. Dass Lessings Drama dennoch trägt, Nathans Geschichte an Bedeutung noch gewinnt – das liegt am Spiel von Bridge Markland, das dabei selbst einiges an Vieldeutigkeit besitzt: Die Darstellerin und Puppenspielerin wird, während sie zu den unterschiedlichen Stimmen agiert, fast zu einer Chimäre, einer Projektionsfläche, Fata Morgana, einem kaum greifbaren Wesen.
Sie spielt in einer Box, in der all ihre Puppen, Kostüme, Utensilien bereitliegen. »Nathan in the Box« heißt der Klassiker deshalb in ihrer Version; in ähnlicher Form hat Markland auch schon Goethe und Schiller bearbeitet. Es beginnt mit den Talking Heads, mit »Burning Down The House« – Nathans Haus brennt, er hörte davon, gleich fauchen Rammstein los, gleich summen U2 Geschichten von Haremsdamen, ruft Bonnie Tyler nach einem Helden, bitten die Scorpions um einen Engel – »Den Menschen ist ein Mensch noch immer lieber als ein Engel«, gibt Nathan zu bedenken. »Nathan in the Box« mit Bridge Markland fühlt sich an wie ein Stück, das durch alle Radiokanäle zappt, dabei eine Botschaft entstehen und Identitäten verschwimmen lässt. (GEA)