REUTLINGEN/BADEN-BADEN. Die neue Kunstvereinsleiterin Imke Kannegießer hat ihren eigenen Stil – eins aber eint sie mit ihrem Vorgänger Christian Malycha: der ansteckende Elan, mit dem sie die Leute für die Kunst begeistert. So hat sie auch die von Malycha gepflegte Tradition der Exkursionen für Kunstvereinsmitglieder und sonstige Interessierte übernommen. Der Andrang zu ihrer ersten Ausfahrt war gleich so groß, dass ein größerer Bus geordert werden musste. Er führte über 50 Kunstfans und den GEA-Reporter in Kannegießers letzte Heimat: nach Baden-Baden, wo sie mehrere Jahre als Kuratorin an der Kunsthalle arbeitete.
Nach zwei Stunden Fahrt spuckt uns der Bus mitten in der Lichtentaler Allee aus – dort, wo Baden-Baden wirkt wie die Kulisse zu einem Thomas-Mann-Roman: Schwarzwald-Puppenstube und Jetset-Zentrum in einem. Die klassizistische Kunsthalle und das damit verbundene kubisch-moderne Museum Frieder Burda mit seinen großen Glasflächen passt sich geschmeidig in diese Kulisse ein.
Gleich darauf lehnt Kannegießer mit einem Lächeln an ihrem alten Schreibtisch im Großraumbüro der Kunsthalle. Ein Büro, das, von dem Österreicher Heimo Zobernig gestaltet, selbst ein kühl-funktionalistisches Kunstwerk ist.
Fotokunst von Mikhailov
Die Ausstellung im Obergeschoss führt in andere Sphären. Der ukrainische Fotokünstler Boris Mikhailov turnt da erst einmal auf lebensgroßen Foto-Selbstporträts als pudelnackter Kobold herum, wirft sich mit Schwert und Dildo in Posen, eine schamlos-verrückte Clownerie.
Berühmt geworden ist er jedoch für seine Aufnahmen von Menschen am Rand des zerfallenden Sowjetimperiums. Obdachlose, Mittellose, von der Gesellschaft Vergessene, die Mikhailov teils mit heimlichen Schnappschüssen festhält, teils zum Posieren ermuntert.
Skurriler Humor mischt sich hier mit Mitleid und Irritation. Vor allem, weil der Fotograf die mittellosen Porträtierten per Honorar zu entblößenden Posen drängt. Dass die ohnehin gebeutelten Menschen vor dem Auge der Kamera buchstäblich die Hose herunterlassen, steigert die Wirkung ihrer Verletzlichkeit gegenüber dem Betrachter ins fast Unerträgliche.
Die frontale Darstellung des Elends ist beklemmend, ihre Verbindung mit skurrilem Humor, ironischen Rollenspielen und zur Schau gestellter Nacktheit schockiert. Die Reaktionen nach der Führung durch Hendrik Bündge, einen der beiden Interims-Kunsthallenleiter nach dem Weggang von Johan Holten nach Mannheim, sind gemischt. Manche sind betroffen, andere fasziniert, wieder andere abgestoßen von der demonstrativen Drastik.
Karin Kneffel setzt ihre Irritationen kultivierter. Am Nachmittag stehen wir vor ihren bis zu sieben Meter hohen Ölgemälden im Museum Frieder Burda und starren fassungslos auf Äpfel und Pfirsiche von mehr als einem Meter Durchmesser. Sie wirken echter als echt. Das Verdikt, man könne in der modernen Kunst doch keine Früchtestillleben mehr malen, hat Kneffel damit beantwortet, dass sie das Verbotene im Monster-Maßstab realisiert hat. In einer Hyperperfektion, die jeden Makel so akribisch tilgt, dass das Realistische doch wieder irreal wirkt.
Riesenfrüchte von Karin Kneffel
In anderen Malereien treibt Kneffel das Spiel mit Illusion und Realität noch weiter. Man blickt durch nasse Scheiben in Innenräume, während sich das Außen in den Tropfen spiegelt. Man blickt durch eine Scheibe nach draußen auf ein nächtliches Haus, während sich der Hitchcock-Thriller, der gerade drinnen im Fernseher läuft, im Glas spiegelt. Man blickt auf einen gebohnerten Boden, in dem sich ein Saal abzeichnet, nur den Dalmatiner sieht man »in echt«.
Apropos Hunde: Sie tauchen immer wieder auf – und Hendrik Bündge, der auch hier die Führung macht, verrät, dass Kneffel panische Angst vor ihnen hat. Weshalb sie nur mit Maulkorb in ihr Atelier dürfen. Auch zu Mikhailov hatte er eine Insider-Pointe auf Lager: Weil dieser weder deutsch noch englisch spreche, sei er auf seine Frau und Managerin Vita als Übersetzerin angewiesen. Wenn diese, wie nicht selten, anderer Meinung sei, übersetze sie schon mal »kreativ«.
Letzte Station: die Ateliers von Alfonso Hüppi und seinem Sohn Johannes. Die arbeiten in zwei großzügigen Fabriketagen im Industriegebiet – Thaddäus, der andere Sohn, ebenfalls Künstler, hat sein Atelier schräg gegenüber. Der Reutlinger Galerist Reinhold Maas, der Alfonso Hüppi vertritt, hat das Treffen arrangiert.
Hüppi senior, mittlerweile 84, erklärt den Besuchern ruhig und zurückhaltend, was ihm diese Räume bedeuten. Wenn er nicht gerade an einem größeren Projekt arbeite, komme er ohne Plan hierher, lasse die Dinge auf sich zukommen. Einzelne Objekte in dem weiten, außerordentlich aufgeräumten Raum zeigen, wie er mit Vorgefundenem »spielt«. Eine bemalte Holzbretterwand sägt er in Streifen und setzt sie neu zusammen. Aus Büchern sägt er Stücke und montiert die Teile zu einer Art Mini-Installation.
Werkstattbesuch in der Fabrik
Nebenbei erzählt er, wie er seinerzeit als Professor an der Düsseldorfer Akademie seine Studenten mit nach Isfahan und nach Namibia nahm – um sie für neue Eindrücke zu öffnen. Und wie er den Farmer Erwin Gebert in Namibia dazu brachte, mitten in der Einöde ein Museum zu bauen. Ein paar Splitter über seine ehemaligen Akademie-Kollegen wird er auch noch los: Lüpertz sei immer sehr kollegial gewesen, was man dem »großen Künstler-Darsteller« gar nicht so zutraue. Während Gerhard Richter immer in Sekunden seine Meinung geändert habe.
Dass er über eine Lehre als Silberschmied zur Kunst kam, habe finanzielle Gründe gehabt – heute will er die Handwerksausbildung auf keinen Fall mehr missen. Sie schule die »Verbindung von Kopf und Hand«, die essenziell sei für die Kunst. Was hätte uns Besuchern Besseres passieren können, als mit den Worten dieses klugen Schweizers mit dem knitzen Humor nach Hause zu reisen. (GEA)