Logo
Aktuell INTERVIEW

Musikkorps der Bundeswehr: »Wir bringen Heimat ins Einsatzland«

Oberstleutnant Christoph Scheibling spricht über das vielfältige Leben im Musikkorps der Bundeswehr

Das Musikkorps der Bundeswehr 2017 in der Reutlinger Stadthalle.  ARCHIVFOTO: KNAUER
Das Musikkorps der Bundeswehr 2017 in der Reutlinger Stadthalle. Foto: Armin Knauer
Das Musikkorps der Bundeswehr 2017 in der Reutlinger Stadthalle.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. In Kampfeinsätze war das Musikkorps der Bundeswehr noch nie verwickelt. Dennoch dienen die Musiker ihrem Land. Sie bilden die Spitzenklasse der Militärmusiker. Aber wie sieht es hinter den Kulissen aus? In Deutschland gibt es 14 Bundeswehr-Orchester. Das Musikkorps ist ein symphonisches Blasorchester mit 60 Musikern und weiteren 20 im Spielmannszug. Sie spielen am 4. April um 19.30 Uhr in der Reutlinger Stadthalle zugunsten des Spendenprojekts Jugendhilfe der Bruderhaus-Diakonie: »Die Kindergruppe für Kinder psychisch kranker Eltern«. Eingeladen haben die Lions-Clubs Reutlingen, Neckar-Alb und Ermstal. Das Korps wird zusammen mit dem Philharmonia Chor Reutlingen die Freiheitssymphonie »Wir sind das Volk« von Guido Rennert aufführen. Mit dem Leiter des Orchesters, Oberstleutnant Christoph Scheibling, sprach der GEA über die Motivation Bundeswehr-Musiker zu werden, das Orchesterleben und den Alltag.

 

GEA: Was motiviert Musiker, zur Bundeswehr zu gehen?

Christoph Scheibling: In der Regel sind unsere Musikerinnen und Musiker schon von Kindheit an in dem Bereich der symphonischen Bläsermusik und haben in verschiedenen zivilen Orchestern gespielt, und dort ist meistens der Wunsch gereift, das professionell zu machen. In Deutschland gibt es nicht viele professionelle symphonische Blasorchester. Der Militärmusikdienst nimmt mit etwas über 60 Prozent der Arbeitsplätze eine Vorreiterrolle ein. In den letzten Jahren kommen immer mehr Seiteneinsteiger hinzu. Also solche, die draußen studiert haben.

 

»Im Ausland sind unsere Staatsoberhäupter mit der belgischen Flagge begrüßt worden«

 

Gibt es Aufstiegsmöglichkeiten?

Scheibling: Selbstverständlich. Das ist in den letzten Jahren sehr attraktiv geworden. Wir haben beispielsweise erst neulich einen Berufsmusiker bekommen, der schon 20 Jahre Berufserfahrung hatte – der steigt direkt als Stabsfeldwebel in den Dienst ein. Das ist eigentlich der Dienstgrad, mit dem die Musiker in den Ruhestand gehen. Je höher die Berufserfahrung ist, desto höher ist der Einstiegsdienstgrad. Alle, die neu anfangen, steigen mit dem niedrigsten Dienstgrad ein. Und können bis zum Oberstabsfeldwebel aufsteigen. Und bei den Offizieren bis zum Oberstleutnant.

Oberstleutnant Christoph Scheibling leitet seit  Oktober 2012  das Musikkorps  der Bundeswehr.  FOTO: PR
Oberstleutnant Christoph Scheibling leitet seit Oktober 2012 das Musikkorps der Bundeswehr. FOTO: PR
Oberstleutnant Christoph Scheibling leitet seit Oktober 2012 das Musikkorps der Bundeswehr. FOTO: PR

 

Müssen die Orchestermusiker im Ernstfall an die Waffe?

Scheibling: Das ist glücklicherweise noch nicht vorgekommen. Die Musikkorps sind in Einsatzgebieten, wenn dort Feierlichkeiten sind, die wir mit Musik umrahmen. Beispielsweise gehen auch die Orchestermusiker am Nationalfeiertag, 3. Oktober, zu Festen in Länder wie Mali oder Afghanistan. Dienst an der Waffe machen wir ja ohnehin durch die allgemeine militärische Grundausbildung. Und einmal im Jahr haben wir eine praktische Übung mit Schießtraining sowie einem Erste-Hilfe-Kurs.

 

Die Musiker müssen also nicht täglich an der Waffe üben?

Scheibling: Nein, das nimmt eine Ausbildungseinheit pro Jahr ein – von gefühlt einer Woche. Die ist jährlich abzulegen. Mit einem konkreten Einsatz sind wir bisher noch nicht in Berührung gekommen. Außer bei einer Aufbaumission. Die ist in den Jahren 2009, 2010 und 2011 in Kabul (Afghanistan) gewesen. Dort haben einige Musiker, die dortigen Militärmusiker ausgebildet.

 

Muss das Musikkorps für die Staatsbesuche viele Hymnen kennen?

Scheibling: Das ist ganz unterschiedlich. Wir, das Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg, haben ein großes Hymnenarchiv, aber auch die Stabsmusiker in Berlin haben eines. Über die Jahre ist dort ein großes Archiv gewachsen. Ich denke mal, zwischen 150 und 200 Hymnen sind da bestimmt. Im Rahmen der Kontaktpflege unserer Bundesregierung oder des Verteidigungsministeriums sind häufig Gäste, wie die europäischen Nachbarn, zu Gast. Aber auch bei den anderen, exotischen Ländern muss man die Hymnen auf dem aktuellsten Stand halten.

Hat das Musikkorps schon einmal die falsche Hymne gespielt?

Scheibling: Nein, in der ganzen Geschichte Deutschlands ist das meines Wissens noch nicht passiert. Im Protokoll stand noch nie, dass eine Nationalhymne falsch gespielt wurde. Im Ausland gab es versehentlich den Fall, dass unsere Staatsoberhäupter mit der belgischen Flagge statt der deutschen begrüßt worden sind. Wenn wir uns jedoch an die Zeit erinnern, als die Sowjetunion auseinandergefallen ist und es plötzlich eine Vielzahl an Splitterstaaten gab, als es quasi über Nacht neue nationale Symbole und neue Nationalhymnen gab, da war erst einmal viel Recherche und saubere Arbeit notwendig. Die komplexeste Nationalhymne der Welt hat übrigens Argentinien.

Wie viele Auftritte haben Sie im Jahr?

Scheibling: Von allen 14 Orchestern gemeinsam sind es zwischen 2 500 und 3 000 Einsätze. Bei uns sind es durch das Großorchester, den Spielmannszug sowie die Kammermusik zwischen 150 und 170.

Gab es skurrile Momente?

Scheibling: Das ist natürlich eine unglaublich spannende Angelegenheit, wenn unsere Staatsoberhäupter, der Bundespräsident oder unsere Bundeskanzlerin, ihre Gäste empfangen. Manchmal gibt es ein bisschen Small Talk, das ist ein besonderer Moment. Es ist kein großer Lapsus passiert, ich kann mich an keine staatstragende Anekdote erinnern. Es läuft immer alles professionell, routiniert und Gott sei Dank auch reibungslos ab.

Bestimmt gab es bewegende Auftritte, oder?

Scheibling: Wenn Sie die traurige Pflicht haben, jemanden mit militärischen Ehren zu verabschieden, dann hat das natürlich immer eine emotionale Wirkung. Da erinnere ich mich zum Beispiel an die musikalische Begleitung für Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher. Für beide haben wir gespielt. Das geht einem schon sehr nahe. Das liegt aber auch daran, dass wir mit Hans-Dietrich Genscher sehr eng zusammengearbeitet haben, als die Freiheitssymphonie 2014 entstanden ist, da hat er mitgewirkt. Er hat in den Symphoniekonzerten noch Grußworte gesprochen, weil er ja Zeitzeuge und auch Architekt des Mauerfalls und der Einheit war. Das war schon sehr bewegend, und wenn man Abschied nimmt, ist das von einer ganz besonderen emotionalen Note.

Spielt das Musikkorps auch zur Aufmunterung der Soldaten?

Scheibling: Ja klar. Das passiert regelmäßig. Meistens ist das in Verbindung mit Feierlichkeiten. Das hat eine sehr lange Tradition. In einem unmittelbaren Zusammenhang vor einem Einsatz gibt es das allerdings nicht. Wir bringen die Heimat ins Einsatzland, machen sie live erfahrbar, wenn von Soldaten für Soldaten gespielt wird. Das hat eine unglaubliche Wirkung.

Wie ist der Alltag des Korps?

Scheibling: Wenn wir nicht unterwegs sind, dann bereiten wir Dinge vor, die anstehen. Das ist sehr vielfältig, einerseits die ganzen Konzerte, dann die protokollarischen Aufgaben. Oder die Kammermusik-Ensembles, die sich vorbereiten müssen. Wir haben CD-Produktionen, eine eigene Orchester-Akademie und natürlich auch große Sonderprojekte. In diesem Jahr haben wir ein tolles Kinderkonzert mit der Johannes-Kerner-Stiftung in der Elbphilharmonie, das bindet einen anders als ein Standardeinsatz, der 50 Mal im Jahr stattfindet. (GEA)

Musikkorps live: 4. April, 19.30 Uhr, Stadthalle Reutlingen

 

 

 

 

 

 

Zur Person

Christoph Scheibling ist 1969 im oberbergischen Wipperfürth geboren. Mit 20 Jahren ging er als Militärmusiker zur Bundeswehr. Er ist studierter Kapellmeister mit Auszeichnung. Sechs Jahre leitete er das Gebirgsmusikkorps in Garmisch-Partenkirchen, bis er ab 2007 für drei Jahre das Luftwaffenmusikkorps 2 in Karlsruhe leitete. Von 2010 bis 2012 war er stellvertretender Leiter des Militärmusikdienstes in Bonn. (GEA)