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Musikalische Akrobatik

TÜBINGEN. Ausverkauft, keine Abendkasse: Für manche Menschen war der Freitagabend ein bisschen frustrierend. Umso zufriedener saßen andere in der Tübinger Jakobuskirche, schlossen die Augen und machten sich auf eine lange Hör-Reise. David Orlowsky war mal wieder nach Hause gekommen, um seine klezmerinspirierte Kammerweltmusik zu spielen, wie er es selbst nennt. Zwei der renommierten »Echo Klassik«-Preise hat der Tübinger in den letzten Jahren erhalten und füllt mit seinem Trio locker größere Häuser, aber fürs Jubiläumskonzert musste es einfach die gute alte Jakobuskirche sein.

Leise, so leise fängt es an. Eine schmelzend weiche Klarinette tastet sich durchs Pianissimo und direkt ins Zuhörer-Herz. Jeder knarzelnde Stuhl zehn Reihen weiter schmerzt. Lärmen Amseln vor dem Fenster wirklich so? Herrje, diese elend raschelnden Wetterjacken! Doch die Dynamik dieser Musik lässt einen nicht lange träumen oder hadern. Nur Augenblicke später bricht ein Gute-Laune-Feuerwerk aus. Musikalische Akrobatik in tänzerischen Rhythmen, flirrende Hektik, foppende Spottlieder, dann wieder pudrige Pastelltöne. Das Trio beamt seine Zuhörer ständig auf neue emotionale Kontinente und führt sie dort spazieren.

Intensiv aufeinander eingespielt

15 Jahre sind eine lange Entwicklungszeit für ein Ensemble, erst recht, wenn der Gründer Jahrgang 1981 ist, quasi nur doppelt so alt. »Eine durchschnittliche Ehe in Deutschland hält 14 Jahre und drei Monate«, scherzte Orlowsky denn auch, »und wir sind zu dritt – und ich war erst 16!« Die Gitarre spielt heute ein anderer, 2005 löste Jens-Uwe Popp den Mit-Gründer Jo Ambros ab. Am Kontrabass steht nach wie vor der stets lächelnde Florian Dohrmann, der offenbar Orlowskys Gedanken lesen kann. Alle drei sind so intensiv aufeinander eingespielt, wie man es aus reiner Professionalität niemals erzwingen könnte.

In den 15 Jahren ist viel passiert. Orlowskys hypnotischem Spiel konnte man sich noch nie entziehen, Erfahrung und Technik bringen neue Dimensionen. Die Klezmer-Wurzeln werden nicht verleugnet, aber in musikalischen Schubladen fühlt sich das Trio längst nicht mehr wohl. Balkan und Südamerika, Jazz und Pop haben Spuren hinterlassen in diesen großen Bilderbögen.

Was Orlowsky und seine Mannen nicht daran hinderte, bei ihrem Jubiläum weit zurückzuschauen. Sie spielten »Happyness«, eine zwölf Jahre alte frühe Eigenkomposition des Klarinettisten. Unter den Zugaben war »Donna Donna«, die Drei nahmen den ausgetretenen Pfad auf Zehenspitzen. Blicke in die Zukunft gab es ebenso – mit der Welturaufführung von »Istanbul«. Beim Zuhören kam einem das Zeitgefühl abhanden, und in den Standing Ovations schwang der große Wunsch mit, es könnte noch lange so weitergehen. (GEA)