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Musik für 250 Gläser Wein: Niels Frevert im Reutlinger franz.K

Niels Frevert nahm mit seinem akustischen Trio den Alltag ins Verhör und erfand die Poesie aufs Neue. Im Reutlinger franz.K war das eindrucksvoll zu erleben.

Immer bleibt die Musik: Niels Frevert im franz.K.
Immer bleibt die Musik: Niels Frevert im franz.K. Foto: Thomas Morawitzky
Immer bleibt die Musik: Niels Frevert im franz.K.
Foto: Thomas Morawitzky

REUTLINGEN. Er trägt Jackett, ein Hemd, in seinem Gesicht einen Bart, und er schlägt die Gitarre, zumeist die akustische. Zu seiner Linken, seiner Rechten sitzt jeweils ein Musiker – Piano, Keyboard hier, E-Gitarre dort. Sie bringen sich zurückhaltend ein, verwandeln manch ein Stück mit ihren spannungsvollen Einsätzen. Im Fokus aber steht Niels Frevert, Songpoet aus Hamburg, der Mann mit dem Bart, ein Liedermacher der neuen Tage, der mit Feingefühl, Sprache und Melodie seine Welt beschreibt, die immer auch jene seiner Zuhörer sein könnte. Am Freitagabend ist Frevert zu Gast im Reutlinger franz.K, holt einen Auftritt nach, den er längst dort absolvieren wollte, stellt sein letztes Album vor und begeistert ein Publikum, das den bestuhlten Saal gut füllt. Ein kurzes, aber intensives Konzerterlebnis.

»Ich würd' dich gern mal anrufen«, singt er. »Es wär schön, wenn du mir schreibst – eine Postkarte mit Grüßen aus dem Jenseits, von einem Fischerboot im Sonnenuntergang.« Dies in schwärmendem, leidenschaftlichem, ein wenig leidendem Tonfall, rau – mehr Romantik geht nicht, in der deutschen Popmusik im neuen Jahrtausend. Niels Frevert veröffentlichte sein erstes Album 1997; seither folgten sieben weitere. Das letzte erschien 2022 und trägt den Titel »Pseudopoesie«. Es könnte die Frage aufwerfen, was Poesie überhaupt und wann sie »pseudo« ist. Frevert gibt viele kleine Antworten darauf, singt von Landschaften, die eingeebnet wurden, um Hochhäusern Platz zu machen, singt fast heiter vom Fremdsein in der Welt, singt unbelebte Dorfszenarien herbei, samt schleudernder Waschmaschine, Kirchenglocken und dem Klappern von Geschirr: Das ist der Lied gewordene Alltag, samt all seiner Banalität und seinen manchmal tiefen, vorübergehenden Empfindungen. »Es bedeutete viel und hinterließ eine Leere.«

Leise Hoffnungen

Niels Frevert ist einer, der sich eine Welt zusammenbastelt, aus Erinnerungen, Beobachtungen, leisen Hoffnungen. Er kommt aus Hamburg und erzählt in seinen Liedern von den langweiligsten Vororten, die seine Heimatstadt zu bieten hat. Er erinnert sich an seine Jugendhaustage, an die Musik, der er damals lauschte, und sein Reutlinger Publikum, das weiß, wohin die Reise geht, summt für ihn den größten Hit der Rockband Kiss. 250 Songs, so schätzt Niels Frevert selbst, hat er geschrieben, in denen ein Glas Rotwein vorkommt. Im franz.K singt er mindestens einen davon.

Manch ein Stück besteht aus luftigen Gitarrenfiguren, ein anderes beginnt mit dunklen Akkorden des Keyboards. Frevert wechselt für eine Weile an die E-Gitarre, übt auch hier gefühlvolle Zurückhaltung, mit mehr Tempo, Biss. Seine Lieder aber bestehen aus Worten und einer Melodie, die steigt und fällt, unmerklich, dramatisch. Gut anderthalb Stunden steht er im franz.K auf der Bühne. Er singt: »Ich würde dir helfen, eine Leiche zu verscharren / wenn’s nicht meine ist« und singt seine Ode an die Musik, die bleibt, bis zuletzt, veröffentlicht auf seinem vorletzten Album »Putzlicht«, auf dessen Cover eine Motte grau an einer Neonröhre flattert. Es ist erschienen, wie auch das neueste, auf Herbert Grönemeyers Label Grönland. Viel früher am Abend sagt Niels Frevert etwas, das so weise und alltagspoetisch klingt, wie alles, was er sagt und singt. Er sagt: »Menschen in sozialen Berufen sollten mehr Geld bekommen, aber das nur nebenbei.« (GEA)