WEINGARTEN/REUTLINGEN. Ein Alleinstellungsmerkmal kann Wilhelm König für sich in Anspruch nehmen: Er sei der einzige Dettinger, nach dem ein Archiv benannt ist, stellt König beim Besuch in der GEA-Redaktion fest. Auch wenn er schon lange in Reutlingen lebt: die Herkunft aus der Dettinger Brühlgasse bleibt unvergessen. Benannt nach ihm ist seit vergangener Woche das »Württembergische Mundartarchiv Wilhelm König«. Es ist nun Teil der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Das ist in Weingarten mit einem Fest gefeiert worden, mit Text-, Musik- und Kabarettvorträgen. Auch Johannes Kretschmann, der Sohn von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hatte seinen Auftritt. Als Kabarettist, natürlich auf gut Schwäbisch.
Seit den 1970er-Jahren ist Wilhelm König Aktivist in Sachen Mundart. Vorreiter war Österreich gewesen, vor allem der Wiener H. C. Artmann. Nach der Nazidiktatur war die deutsche Sprache diskreditiert - der Dialekt hingegen schien unbefleckt. Befeuert durch die 68er-Bewegung entstand eine kritische Dialektliteratur. Auch König trug dazu bei, publizierte Gedichtbände, Romane, die Mundartzeitschrift »Schwädds« gibt er noch heute heraus. In Reutlingen gründete er die Mundartgesellschaft Württemberg. Und König begann, Material zu den deutschen Dialekten zu sammeln: Gedichtbände und Romane, Plakate, Dialektwörterbücher, Tonbandaufnahmen von Dialektsprechern, Schallplatten schwäbischer Liedermacher oder Kabarettisten. In Schwäbisch, Hessisch, Schlesisch, Niederdeutsch, Alemannisch, Fränkisch oder Bayerisch. Die Mundart boomte, andere sammelten ebenfalls, »es war wie ein Wettbewerb«, erzählt König.
Im Rheinland und in Oberschwaben
Drei gingen schließlich daran, ein Mundart-Archiv aufzubauen: König im Südwesten, Ludwig Soumagne im rheinischen Dormagen und Julian Dillier in der Schweiz. Zustande kamen die Archive von Soumagne und König; Dillier, wie Soumagne inzwischen gestorben, übergab seinen Bestand an König. Das Dormagener Archiv ging 1986 an den Start, existiert dort noch heute unter dem Dach des Landkreises. Königs Archiv folgte in den 1990ern. Erst habe er das Material bei sich zu Hause gelagert. Da sich in Reutlingen keine geeigneten Räume fanden, brachte er das Mundart-Archiv auf Vermittlung des damaligen Regierungspräsidenten Hubert Wicker im Neuen Kloster Bad Schussenried unter. Vorher beherbergte der Bau das Zentrum für Psychiatrie.
8.000 Objekte haben sich im Laufe der Jahre angesammelt. Großen Zuwachs bekam die Sammlung, als die Stadtbibliothek Stuttgart sich von ihren Mundart-Beständen trennte und sie König übergab. Darunter befanden sich auch die Aufzeichnungen zur Vorbereitung eines schwäbischen Dialektwörterbuchs aus der Zeit um 1900. Aus der Sicht Königs eines der Glanzstücke der Sammlung.
Suche nach fester Lösung
Klar war jedoch, dass es in Bad Schussenried nicht ewig weitergehen konnte. König ist 89, den Vorsitz der Mundartgesellschaft hat er kürzlich an die Metzingerin Jeanette Rzyski-Knab abgegeben. Auch das Mundartarchiv sollte eine feste Bleibe bekommen, möglichst eine, die weniger abgelegen ist. Als sich in Reutlingen erneut keine Möglichkeit auftat, wandte sich König wieder ans Regierungspräsidium. Regierungspräsident Klaus Tappeser habe vorgeschlagen, das Archiv bei der PH Weingarten unterzubringen.
An der PH ist Sprach- und Dialektforschung ohnehin ein Thema. Im Fach Deutsch in der Lehramtsausbildung beschäftige man sich intensiv mit der Frage »Darf ich auch Dialekt sprechen?«, sagte PH-Professorin Dr. Christiane Hochstadt zum Auftakt einer Tagungsreihe »Dialekt und Schule« in Bad Schussenried. Zudem gibt es an der PH seit 2019 ein »Zentrum für Mundart«, das sich der Dokumentation und Erforschung der Dialekte widmet sowie »der Förderung der Verwendung von Mundarten insbesondere in Bildungssituationen«, wie es im Statut heißt. Königs Mundart-Archiv ist nun Teil dieses Zentrums.
Bewegende Eröffnung
Die Eröffnung des »Württembergischen Mundartarchivs Wilhelm König« wurde in Weingarten im Beisein von Rektorin Karin Schweizer und vielen prominenten Gästen gefeiert. Ihn habe das sehr bewegt, betont König, die Zeremonie sei ihm nahegegangen. Er selbst skizzierte in einer Rede die Entwicklung der Mundartbewegung seit den 1970er-Jahren, die zu diesem Archiv geführt hatte. »Die letzten Stufen sind erreicht«, sagte König in seiner Rede. »Ich bin am Plafond«, formuliert er dem GEA gegenüber - gut Schwäbisch für »an der Decke«. Dass sein Archiv als Teil der PH Weingarten weiterlebt, schließt aus seiner Sicht einen Kreis. Gingen doch, als die PH Reutlingen 1987 geschlossen wurde, nicht wenige Dozenten nach Weingarten.
Komplett zur Ruhe setzen will König sich nicht. Die Mundart-Zeitschrift »Schwädds«, die er seit 1980 herausgibt, will er weiter selbst betreuen. Das Problem: Es gebe kaum noch Leute, die Mundart-Literatur schreiben. »Es fehlt an Autoren«, seufzt der Mundart-Aktivist. Die große Zeit der Dialekt-Renaissance sei vorbei. Also wird er wohl selbst wieder zur Feder greifen müssen. Langweilig wird's ihm auch ohne das Mundart-Archiv nicht. (GEA)