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Mit Lotusflöte und Vuvuzela: Magdalena Cerezo Falces beim Musica-Nova-Saisonfinale

Werke, die sich mit Verbindungen zwischen Neuer Musik und Popkultur auseinandersetzen, waren beim Saisonfinale der Reutlinger Musica-Nova-Reihe zu hören. Magdalena Cerezo Falces nahm am Flügel Platz.

Pianistin Magdalena Cerezo Falces holte bei der Aufführung von Benjamin Scheuers Werk »Kiste« allerlei klingende Gegenstände aus
Pianistin Magdalena Cerezo Falces holte bei der Aufführung von Benjamin Scheuers Werk »Kiste« allerlei klingende Gegenstände aus dem Konzertflügel und entsorgte sie, nachdem sie sie in ihren Vortrag eingebaut hatte, in hohem Bogen. Foto: Christoph B. Ströhle
Pianistin Magdalena Cerezo Falces holte bei der Aufführung von Benjamin Scheuers Werk »Kiste« allerlei klingende Gegenstände aus dem Konzertflügel und entsorgte sie, nachdem sie sie in ihren Vortrag eingebaut hatte, in hohem Bogen.
Foto: Christoph B. Ströhle

REUTLINGEN. Wer sagt denn, dass Neue Musik im Konzertbetrieb immer bierernst daherkommen muss. Nicht erst seit Hape Kerkelings und Achim Hagemanns Fernsehstreich »Hurz!« in der Comedyserie »Total Normal« (1991) können Komponistinnen und Komponisten, Interpretinnen und Interpreten auch über ihr Tun lachen. Mit gebotenem Ernst, versteht sich. Im Wissen, dass es immer auch um Erwartungshaltungen geht und das Ganze eben auch eine Nabelschau ist.

Einer, bei dem sich vieles um direkt erfahrbare Sinnlichkeit und Humor dreht, ist Benjamin Scheuer (Jahrgang 1987), der mit seinem Orchesterstück »versungen« die Basel Composition Competition 2019 und mit »Acht Arten zu atmen« für Akkordeon und Klarinette den Kompositionspreis der Stadt Stuttgart 2021 gewonnen hat. Am Mittwochabend war er beim Saisonabschluss der Musica-Nova-Reihe zugegen, als die spanische Pianistin Magdalena Cerezo Falces in der Galerie des Kunstmuseums Reutlingen in den Wandel-Hallen »XXII. harp«, die Nummer zweiundzwanzig seiner »Zweiundzwanzig Zwischenspiele« für Klavier solo, uraufführte.

Lehrbeauftragte in Karlsruhe

Magdalena Cerezo Falces, »ein echter Superstar des zeitgenössischen Klavierspiels«, wie der künstlerische Leiter der Musica-Nova-Reihe, Michael Hagemann, sie ankündigte. Eine Musikerin, die mit Komponistenpersönlichkeiten wie Wolfgang Rihm, Helmut Lachenmann, Heinz Holliger und Rebecca Saunders zusammengearbeitet hat und Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik Karlsruhe ist.

In Scheuers Zwischenspiel ließ sie die Klänge mal geheimnisvoll schillern, oszillieren, sich wellenartig ausbreiten, mal haute sie hämmernd, geradezu obsessiv in Basta-Manier Schlussformeln raus. Das Manische stand neben dem Ruhevollen, das Verbindliche neben dem Kompromisslosen.

Vuvuzela und Lotusflöte

In einer Reihe von Stücken aus Scheuers Werk »Kiste« (2015/16) kombinierte die Pianistin rückwärts gespielte Soundschnipsel oder rhythmisch pointierte Computertastaturgeräusche von einem Keyboard mit ihrem pulsierenden Klavierspiel. Wobei sie nach und nach zeigte, was alles in der Kiste, sprich: dem Konzertflügel, steckte. Dinge, die man darin nicht erwartet hätte - wie klingendes Kinderspielzeug, eine Vuvuzela, eine Ratsche, eine Lotusflöte, der Falces illustrative Slide-Töne entlockte, wie man sie aus animierten Filmen kennt, und vieles mehr. Dinge, die sie im hohen Bogen hinter sich warf, nachdem sie klanglich ihren Zweck erfüllt hatten. Wie wenn man in einer Kiste im Keller oder auf dem Dachboden alte Sachen findet und ausmistet.

Begonnen hatte der Abend mit einem Werk von Sara Glojnaric (»Latitudes«, 2020/21) für präpariertes Klavier und Video (Elektronik: Fernando Munizaga). Eine energiegeladene Musik, atemberaubend virtuos, ein Geschicklichkeitsspiel, das mit seinen Impulsen an einen Flipperautomat erinnerte. Mit Einsprengseln eines Achtzigerjahre-Pop-Hymnen-Sounds.

Klassik- und Popmusik-Zitate

Jennifer Walshes Stück »becher« (2008) war eine Aneinanderreihung kurzer Klassik- und Popmusik-Zitate, die die Pianistin kunstvoll in enger Vertaktung präsentierte. Eine Aneinanderreihung auch von Attitüden, eine Persiflage von übersteigertem Pathos. Andachtsvoll hier und da, sich aber auch immer wieder selbst in die Parade fahrend.

Von Komponist Johannes Kreidler hatte Falces eine Studie für Klavier, Audio- und Videozuspielung (2011) mitgebracht, von Enno Poppe ein »Thema mit 840 Variationen« (1993/97). In Kreidlers Stück waren die Klänge gläsern, hohl, purzelnd und polternd, ein regelrechter Danse macabre. Das Poppe-Werk, auf Erik Satie bezogen, spielte Falces perkussiv und störrisch. Begeisterter Applaus tönte am Ende durch die Galerie, in der derzeit Plastiken und installative Arbeiten von Grieshaber-Stipendiatin Simone Eisele zu sehen sind. (GEA)