METZINGEN-GLEMS. Im allerletzten Song, der Zugabe zur Zugabe, wird aus dem Duo plötzlich ein Trio am Freitagabend im Hirsch in Glems. Anne Haigis widmet das Stück einem Mann im Publikum, und aus der Tiefe des Raumes kommt er herangeschritten: der Tübinger Thomas Kuhn, besser bekannt unter dem Namen DTK. »Ist er das wirklich?«, flüstert es am Nebentisch. Er ist es, Zottelhaar, grauer Sweater, Halskette, schwarzrandige Brille – DTK, halt in zivil. Etwas zerknirscht zudem, da er bekennen muss, das erste Mal überhaupt hier zu sein, obwohl er den Hirsch vom Hörensagen her schon lange kannte.
Terzett ohne Mikro
Mit Anne Haigis und ihrer Bühnenpartnerin Susanne Back singt der Tübinger das »Whisky Lullaby« von Bill Anderson und Jon Randall. Ohne Mikro, ganz Natur, sehr ergreifend. Haigis mit ihrer Rockröhre, Back mit ihrem klaren Popsopran, Kuhn mit seiner Stimme irgendwo zwischen Lagerfeuer und Partykeller – das passt auf berührende Art. Einst hat Kuhn das Lied Haigis ans Herz gelegt, inzwischen ist es eines ihrer Kernstücke, als Antikriegslied passend zur Zeit: Ein Kriegsheimkehrer stellt darin fest, dass seine Frau inzwischen mit einem anderen Mann eine Familie gegründet hat und verfällt darüber dem Alkohol.
Der Hirsch ist rappelvoll, es ist schon Sitte, dass Haigis ihr Konzertjahr im Metzinger Teilort beginnt. Ihrer Bühnenpartnerin stellt sie die Kulturkneipe als »den abgefahrensten Laden im Land« vor. Den sie als ihr Wohnzimmer betrachtet – »es ist wie heimkommen«. Hier kann die gebürtige Rottweilerin ungeniert schwäbeln; später demonstriert sie, dass sie, die in Bonn lebt, auch das Kölsche draufhat. Das Dörfliche ist Susanne Back nicht fremd, wohnt sie doch im Gründstädter Teilort Sausenheim, einem 1.600-Seelen-Dorf in der Pfalz.
Kennengelernt haben sich beide als Teil einer Silvestershow am Mannheimer Kulturzentrum Capitol, wo Back zum Ensemble gehört. Schnell bahnte sich Sympathie an – und eine Zusammenarbeit, die ihren Reiz aus dem Kontrast bezieht. Beide haben eine Vorliebe für amerikanische Folk- und Countryballaden. Haigis als Rockröhre mit aus den Tiefen brodelnder vulkanischer Stimme; Susanne Back hingegen als elegante Pop-Chanteuse, die in der Höhe die hellen, klaren Linien zieht. Ein Typen-Kontrast, der sich bis in ihre Art, sich zu kleiden, zieht.
Im Duo durch die Dekaden
Es ist ein toller Effekt, wie Backs Sopran zart über Haigis' rauem Röhren glitzert. Begleitet nur von Haigis an der Akustikgitarre singen sie sich zwei Stunden lang durch die Jahrzehnte. Ab und an streift Haigis ihre Deutschpopphase in den Achtzigern, die sie wider Willen in die ZDF-Hitparade katapultierte, mit Songs wie »Freundin« oder »Geheime Zeichen«. Im Zentrum stehen aber die großen Klassiker des US-Songwritings. »Waltzing Matilda« in der Fassung von Tom Waits, ursprünglich ein australisches Volkslied, bringt das Publikum zum Jauchzen. Mit der Rotzigkeit ihrer Stimme, die tief ins Herz blicken lässt, ist Haigis dabei ihrem Idol Waits ganz nah.
Allerhand Anekdoten packen die beiden Frauen aus. Sie erinnern sich an ihre Jugendzeit in Rottweil und Sausenheim, wo Langeweile herrschte, was zum Song »Nothing Ever Happens« führt. Haigis erinnert sich, wie einst der legendäre Jazzpianist Wolfgang Dauner sie in einer Stuttgarter Jazzkneipe auflas und mit ihr eine Platte produzierte. Wie sie sich von ihrem übermächtigen Mentor schließlich losriss, wonach dieser kein Wort mehr mit ihr sprach. In einem ergreifenden Song erklärt sie ihrem einstigen Ziehvater, der längst tot ist, warum der Bruch sein musste. Mittlerweile ist Haigis 69, was sie zu einem »sexy Alter« erklärt.
Neben »Matilda« ist vor allem »No Man's Land« das Zentrum des Abends, einst von Tony Carey für sich, Eric Burdon und Anne Haigis geschrieben. Eindringlich packen die beiden Sängerinnen in diesen Song über den US-Bürgerkrieg die Verzweiflung über das, was Menschen sich antun können. Wobei gerade hier oft die schlanke, filigrane Stimme von Susanne Back die Führung hat. Mit »Carry On«, dem Titelsong ihres jüngsten Albums, hat Haigis den passenden Rat parat: Man muss weitermachen, darf sich nicht unterkriegen lassen. Damit das Publikum mit einem Lächeln gehen kann, gibt's noch die Schwabenhymne »Wir im Süden« mit auf den Weg. Mal sehen, wen Haigis im nächsten Jahr in ihr Wohnzimmer mitbringt. (GEA)