REUTLINGEN. In der Galerie des Reutlinger Kunstvereins ermittelt Kommissar Heinrich Demsky in einem Mordfall. Er streift bei dieser Gelegenheit auch durch die Ausstellung »Kunst Reutlingen 2024« (die noch bis zum 6. Januar zu sehen ist). Dass bei dem am Mittwochabend in szenischer Lesung im tatsächlichen Kunstverein präsentierten Krimi gerätselt, aber auch gelacht werden kann, dafür sorgt Michael Miensopust in und mit seinem ersten »Live-Tatort Reutlingen«. Der Schauspieler und Regisseur, der früher das Kinder- und Jugendtheater am Landestheater Tübingen geleitet hat, liefert bei seinem Solo auf dem E-Piano die passenden Soundeffekte dazu.
Was konventionell im Stil eines x-beliebigen Fernsehkrimis beginnt - sieht man einmal von der von Miensopust mit Herbert-Grönemeyer-Stimme intonierten Titelmelodie ab -, bezieht seinen besonderen Reiz aus dem Auftauchen bekannter Reutlinger Orte wie dem Bürgerpark mit Riesenrad (Fundort der Leiche) und der Marienkirche (Ort des Showdowns). Aber auch aus der Art und Weise, wie hier Drehbuch- und Fernsehkrimi-Gesetze persifliert und gegen den Strich gebürstet werden. Wo sonst gibt es das, dass der Held der Geschichte sich, die Ebene der Fiktion verlassend, gegen Drehbuchinhalte und Zuschreibungen des Autors wehrt?
Patente Kollegin
Demsky hat eine patente Kollegin, die er Pumuckl nennt, weil er sich ihren Namen nicht merken will - was sie mit Schlagfertigkeit pariert. Die Ermordete, eine Politesse, scheint vor ihrem Ableben einen Hinweis auf ihren Mörder auf einen Strafzettel gekritzelt zu haben. Oder ist das ein Bluff? Die Tatwaffe erweist sich jedenfalls als so ungewöhnlich, dass sie die Grenzen des Krimis sprengt. Das tun auch Dialoge, die die Figuren über sich selbst im Hinblick auf die Genrekonventionen führen. Etwa, dass jetzt die Stelle ist, an der erwartet wird, dass etwas von ihrer Vorgeschichte zur Sprache kommt oder sie etwas über ihre Beziehung zueinander preisgeben. Die Ermittler, nicht die Tatverdächtigen, wohlgemerkt.
Virtuos spitzt Miensopust das Geschehen zu, nachdem er gerade noch mit drögen Befragungen in erklärter Derrick-Manier Tempo aus dem Krimi genommen hat. Am überraschendsten ist, dass er, so sehr er die Fernsehkrimiwelt auch dekonstruiert, am Ende doch Spannungsmomente kreiert. (GEA)