METZINGEN. Das erlebt man bei einem Laienorchester nicht alle Tage: die Uraufführung eines Werks, das ein eigenes Orchestermitglied komponiert hat. Beim Kammerorchester Metzingen geschieht das im Konzert am Sonntag, 25. Mai, in der Zwölf-Apostel-Kirche in Neuhausen. »Gedanken-Striche« heißt der Zweisätzer für Streichorchester, der dann uraufgeführt wird. Komponiert hat ihn Thomas Brocke, der Stimmführer der Cello-Gruppe.
Eindruck beim Probenbesuch
Das Stück ist keine kurze Gelegenheitsarbeit, sondern mit fast einer Viertelstunde Länge ein üppiges Opus. Das jedoch wie im Flug vorüberzieht, wie ein Probenbesuch des GEA in der Metzinger Schönbein-Realschule gezeigt hat. Der erste Satz fächert sich von einem leisen Ein-Ton-Motiv ausgehend in dichte Streicher-Melancholie auf, ehe sich das Geschehen in einem verträumten Walzer auflöst. Der zweite Satz schlägt kecke Rhythmik an, bringt die Instrumentengruppen in ein vergnügliches Wechselspiel, lässt effektvolle Crescendi aufrauschen und entlädt dabei reichlich Temperament.
Da weiß einer, was er tut. Dabei ist Thomas Brocke keineswegs studierter Komponist, sondern gelernter Physiker. Der 46-jährige Gomaringer arbeitet als Ingenieur in der Halbleiterfertigung bei Bosch. Die Musik hat es ihm jedoch schon lange angetan. Es ist auch nicht sein erster Kompositionsversuch. Stücke für Cello und Klavier hat er geschrieben – »die habe ich zusammen mit meiner Frau gespielt«. Auch Sachen für vierhändiges Klavier sind entstanden. »Aber Klavier spiele ich nicht so gut.«
Zudem sind zwei Sätze für Cello-Quartett fertig geworden. Letztere für ein Ensemble geschrieben, mit dem er sich einmal im Jahr trifft. Häufiger probt er mit dem Belvito-Streichquartett, in dem auch Oliver Bensch mitwirkt, der Leiter des Kammerorchesters. Es waren die positiven Rückmeldungen auf seine Cello-Quartettsätze, die Brocke ermutigten, mal was für Streichorchester zu wagen.
Dirigent bekommt Noten
Mitten in der Corona-Zeit flatterten die Noten bei Oliver Bensch rein mit der Bitte um Begutachtung. Bensch sah sich die Partitur an, die damals nur aus dem Entwurf des jetzt zweiten Satzes bestand. Er fand das Stück interessant: »Ich konnte gar nicht sagen, an wen sich das stilistisch anlehnt, es war was eigenes!« Mit Anmerkungen versehen schickte Bensch das Stück zurück – und mit der Anregung, es brauche noch was Langsames davor. »Ich dachte dabei an eine langsame Einleitung«, schmunzelt Bensch. Stattdessen legte Brocke einen kompletten weiteren Satz nach.
Das Resultat klingt modern im tonalen Sinne. Das Rhythmische und der Mut zu reibigen Harmonien von Komponisten wie Bartók oder Schostakowitsch schwingt mit; aber immer wieder lichtet sich das zu Volkslied-Zitaten oder fast kaffeehausartiger Melodienseligkeit. Alles verblüffend stimmig montiert. »Ich höre viel Musik des 20. Jahrhunderts«, verrät Brocke. Wobei seine Schostakowitsch-Phase vorbei sei. Er möge aber auch Jazz und Rock. So hat er für das Celloquartett mal ein Arrangement des Led-Zeppelin-Hits »Stairway to Heaven« gemacht.
Konzertinfo
Das Kammerorchester Metzingen tritt am Sonntag, 25. Mai, um 17 Uhr in der Zwölf-Apostel-Kirche in Metzingen-Neuhausen auf. Auf dem Programm stehen Werke von Thomas Brocke, Felix Mendelssohn Bartholdy und Gyula Beliczay. (GEA)
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»Ich habe aus all dem geschöpft und einfach geschaut, wo ich es brauchen kann«, erklärt Brocke mit einem Lächeln. »Und ich habe mir überlegt, was mir selber beim Üben Spaß machen würde.« Seinen Mitmusikern hat er gut zu tun gegeben. Selbst die Bratschen und der Kontrabass haben ihre solistischen Einsätze. Der Titel »Gedanken-Striche« sei erst am Ende dazugekommen. Er spielt darauf an, dass es ein Streicherstück ist. Und darauf, dass im ersten Satz ein grüblerischer Gedanke immer neu gewendet wird; während im zweiten Satz die Gedanken zwischen den Orchestergruppen hin- und herfliegen.
Mendelssohns Jugendwerk
Ergänzt wird das Stück im Konzert durch ein Violinkonzert des erst 13-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Ein Stück, in dem sich nun der junge Mendelssohn mit immer neuen Einfällen ausprobiert, wie Oliver Bensch erläutert. Er wird den Solopart selbst übernehmen. Am Ende gibt's noch die Streicherserenade eines österreichisch-ungarischen Komponisten des 19. Jahrhunderts, Gyula Beliczay – »ungarisch gewürzt«, wie Bensch verrät. Auch Beliczay war übrigens im Hauptberuf Ingenieur. Für Brocke ist es jedenfalls die erste öffentliche Aufführung eines größeren Werks. »Zumindest vor zahlendem Publikum«, wie er lachend hinzufügt. (GEA)