REUTLINGEN. Stahl schraubt sich mit schwungvoller Geste in den Raum ein, zeichnet elegante Linien in die Luft; Gemälde, auf denen Flächen und Linien sich begegnen, starke Farben vor allem, antworten ihm. Die Malerin Ulrike Holzapfel und der Bildhauer Jochen Warth sind lange schon mit der Arbeit des jeweils anderen vertraut. Sie öffnen mit ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung in der Reutlinger Produzentengalerie Pupille also ein bewusstes Spannungsfeld zwischen ihren persönlichen künstlerischen Vorgehensweisen. »In the Beginning« heißt die Ausstellung, mit der Künstlerin und Künstler im Zweiklang ihrem Impetus nachspüren. Die Eröffnung der Schau am Sonntag war außerordentlich gut besucht.
Ihr Titel erinnert auch daran – Helm Zirkelbach merkt dies in seiner Einführung an – dass sowohl Ulrike Holzapfel als auch Jochen Warth einen weiten Weg zurückgelegt haben. Beide sind älter als 70 Jahre, beide sind seit Jahrzehnten künstlerisch aktiv, beide haben viel Erfahrung gesammelt, ihre Stilmerkmale, ihre persönlich sensiblen Auffassungen vor langer Zeit schon gefunden. Blicken sie zurück zu ihren Anfängen, dann blicken sie weit.
Farbe als Ausdruck
Immer wieder zu beginnen, sagt Ulrike Holzapfel, sei jedoch von größter Bedeutung. Holzapfel lebt in Ostfildern und arbeitet als Psychotherapeutin. »Ich versuche auch immer wieder, das, was ich während einer Therapie erlebe, in meinen Bildern umzusetzen, die drastischen Übergänge, die großen Themen.« Sie arbeitet ausschließlich abstrakt, malt mit Ölfarbe auf Papier und mit Acrylfarbe auf Leinwand. Verwendet Farbe – in kräftigem Auftrag oder in leichten, durchscheinenden Schichten – als zentrales Ausdrucksmittel. Anordnungen von Linie und Fläche, Grenzen zwischen Farbenräumen unterschiedlicher Dichte und Struktur lassen bei ihr intensive Empfindungen entstehen. Ihr Bilder tragen Titel wie »Warme Ruhe«, »Warme Bewegung«, »Look at me«, »Tanzend«, aber auch: »Gefangene Blüten – Frauen in Afghanistan«.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung »In The Beginning« von Ulrike Holzapfel und Jochen Warth ist noch bis zum 6. April in der Produzentengalerie Pupille, Peter-Rosegger-Straße 97 in Reutlingen, zu sehen, jeweils Freitag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr. (GEA)
www.pupille-galerie.com
Mehrere Jahre malte Ulrike Holzapfel ausschließlich in der Farbe Rot. Diese Bilder, nebst einigen Arbeiten, die sich in den Bereichen Grau und Braun bewegen, zeigt sie in der Pupille. Andere Bilder werden von anderen Farben dominiert – hier aber wollte sie sich ganz auf die Skulpturen von Jochen Warth einlassen. Sie wählte Bilder, die seiner räumlichen, abstrakten Fantasie am deutlichsten Antwort zu geben scheinen.
Künstler, Handwerker, Musiker
Jochen Warth formt seine Skulpturen aus Stahlplatten von 1,5 bis 2 Millimetern Stärke, aus denen er die Elemente schneidet, die er raumfüllend zu komplex geflochtenen fragilen Gebilden verschweißt – ein Vorgang, der fraglos großes handwerkliches Können erfordert. »Ich sehe mich zu 90 Prozent als Handwerker«, sagt Warth denn auch, »und zu zehn Prozent als Künstler.« Bei ihm beginnt der Stahl einen Tanz jenseits der Zeit, springt federleicht empor, zieht Schleifen, Kurven, Bahnen, wirkt wie eine abstrakte Kalligrafie. »Mein Thema«, sagt der Künstler, »ist die Bewegung.«
Jochen Warth lebt in Nehren, arbeitete als Techniklehrer und Kunsterzieher, stellte in der Produzentengalerie Pupille einmal zuvor aus. Er ist aber auch Musiker, tritt mit der Band »Treat Me like A Dog« auf oder spielt im Duo mit Jürgen Mack den Blues in seiner ursprünglichsten Form. In der Pupille hat Jürgen Mack eine dreisaitige Gitarre mitgebracht, die er selbst aus einer Zigarrenkiste baute. Er erklärt den Besuchern der Ausstellung die Schwierigkeiten bei der Konstruktion dieses besonderen Instrumentes und spielt es zum ersten Mal in der Öffentlichkeit.
Farben und Klänge
Jochen Warth derweil spielt eine Mundharmonika in ihrer für den Blues besonderen Bauweise, als Blues Harp also. Eine Mundharmonika ist ein Instrument, in dessen Innerem stählerne Federn zum Klingen gebracht werden. Vielleicht also darf sich der Betrachter einer seiner so leichtfüßigen stählernen Skulpturen vorstellen, in ihr seien die Sprünge, die melodischen Bewegungen, der verträumte metallisch kratzende Klang der Mundharmonika zu einer Form im Raum geworden – im Dialog mit den Farb- und Formzusammenstellungen von Ulrike Holzapfel, die den seelischen Zuständen und ihren Wandlungen auf ihre Weise Ausdruck geben. (GEA)