BAD URACH. Wer sagt, dass das Kunstlied immer dem Standard Stimme/Klavier folgen muss? Schon Haydn und Beethoven haben für einen schottischen Verleger Lieder mit Klaviertrio komponiert, zu hören in Bad Urach 2020, ebenfalls gespielt vom Oberon Trio.
Nun präsentieren Henja Semmler (Violine), Antoaneta Emanuilova (Violoncello) und Jonathan Aner (Klavier) gemeinsam mit dem englischen Tenor Ian Bostridge bei den Herbstlichen Musiktagen ein ziemlich ungewöhnliches Projekt: Kunstlieder im Klaviertrio-Gewand, neu arrangiert von Matthias Schlothfeldt. Mit im Programm sind originale Klaviertrio-Sätze.
Können und Feingefühl
Tief hinein in die Romantik führt der Kopfsatz von Schuberts Klaviertrio Es-Dur, vom Oberon Trio lebendig ausgestaltet. Dessen Spiel lässt keine Wünsche offen, innere Kraft, Können und Feingefühl verbinden sich zu einer differenzierten Interpretation.
Die sich anschließenden Lieder folgen einem roten Faden: Ihre Texte stammen alle von dem zu seiner Zeit als Orientalist bekannten Dichter Friedrich Rückert (auch wenn eines von Matthisson aufs Textblatt geraten ist), beginnend mit Schuberts »Wallfahrt« und »Greisengesang«.
Schlüssig und natürlich
Spannend ist vor allem die Verbindung von Klaviertrio und Singstimme: Das Trio nimmt den Sänger nicht nur real in die Mitte, sondern umhüllt sein tiefgründiges, manchmal fast manieristisch wirkendes Singen ganz organisch mit einem aus dem Klavierpart gewonnenen, feinen Gewebe. Auch die als Orchesterlieder konzipierten Rückert-Lieder von Gustav Mahler, darunter »Liebst du um Schönheit«, wirken im Trio-Arrangement schlüssig und natürlich.
Zu Schubert und Mahler tritt Clara Schumann als vollgültige Komponistin. Der Kopfsatz ihres Klaviertrios g-Moll wird zum Hör-Erlebnis, gefolgt von weiteren Liedkompositionen aus ihrer Feder, darunter das erregte »Er ist gekommen« sowie eine eigene Vertonung von Rückerts »Liebst du um Schönheit«.
Ergreifendes Lebewohl
Weitere Schubert-Lieder nach Rückert sorgen für gebannte Stille im Saal, vor allem »Du bist die Ruh«, in dem Bostridge jede Silbe, jeden Laut so verhalten wie eindringlich auskostet. Der zweite Satz aus Schuberts Es-Dur-Trio wirkt wie ein ergreifendes Lebewohl mit dem eingeflochtenen schwedischen Lied »Se solen sjunker« (Sieh die Sonne sinken), die fesselnde Interpretation wird mit spontanem Jubel quittiert.
Zum Ende hin schlagen die vier einen Bogen über Clara Schumann zu Gustav Mahler, dessen »Ich bin der Welt abhanden gekommen« einen geradezu beklemmenden Abschluss bildet. Dem kann keine heitere Dreingabe folgen, auch wenn das Publikum lang anhaltend jubelt und applaudiert. (GEA)

