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Memento mori

REUTLINGEN-DEGERSCHLACHT. Wie andere Grafiker und bildende Künstler auch hat sich Helmut Anton Zirkelbach 2008 für eine Gemeinschaftsausstellung im Maschenmuseum in Albstadt-Tailfingen mit dem Thema Textilherstellung beschäftigt. Herausgekommen ist eine dreizehnteilige Bilderfolge: der »Tailfinger Totentanz«. Abgesang auf die einst so bedeutungsvolle Textilindustrie auf der Schwäbischen Alb - und zugleich ein Memento gegen das Todes- und Endlichkeitsvergessen.

In der Galerie Thron in Reutlingen-Degerschlacht war der Radierzyklus, ergänzt um großformatige Bildobjekte, am Wochenende zu sehen. Henner Grube führte in die Arbeiten des in Kohlstetten lebenden, freischaffenden Autodidakten ein, wobei er Zirkelbachs Radierungen in einen Kontext mit Totentanz-Darstellungen aus Mittelalter und Renaissance (Basler Totentanz, Bilderfolgen Hans Holbeins des Jüngeren) bis ins 20. Jahrhundert (Alfred Hrdlicka und HAP Grieshaber) stellte. Der Künstler setze sich »mit einer ikonografischen Tradition auseinander und von ihr ab«, sagte er. Hier wie dort stehe »die Reflexion auf die Conditio humana, das unfassbare, ultimative Skandalon unseres unvermeidbaren Todes« im Mittelpunkt.

Wolfgang Brandner, der zu einigen der Druckgrafiken Programmmusik geschrieben hat, führte diese bei der Vernissage auf. Die Suite für Klavier, präpariertes Klavier und E-Piano kombiniert bruchstückhafte, starre Bewegungsabläufe aus der barocken Tanzmusik mit modernen Klangexperimenten und Maschinenrhythmen, wobei Komposition und Improvisation ineinanderfließen. Brandner, der sich als »Jazz-Pianist im weitesten Sinne« begreift, hat von 1990 bis 2003 in Tailfingen gelebt und den Niedergang der Textilindustrie, wie er sagt, selbst mitbekommen. Zirkelbachs Radierungen hätten ihn spontan angesprochen und zu seiner Suite inspiriert.

Technik der Verfremdung

Was die Qualität ihrer Arbeit angeht, können der Musiker und der bildende Künstler als ebenbürtig gelten. Zeigt Zirkelbachs »Der Weber« ein Skelett, das scheinbar unbeeindruckt vom eigenen Tod am Webstuhl sitzt und gewissermaßen weiter ins Leere produziert, übersetzt Brandner dieses gespenstische Bild in eine klassisch anmutende Allemande, in der ein hölzern-blechernes Pochen, ein mechanisches Ächzen, Reiben und Schaben zunehmend die Oberhand gewinnt. Erstaunlich, wie ein paar zwischen die Saiten oder Hämmer geklemmte Schrauben, Wäscheklammern und Gummidichtungen den Klavierklang verändern können. Schon John Cage wusste diese Technik der Verfremdung zu nutzen.

Eine schwindelnd machende Gigue skizziert den »Spieler«, ein Skelett, das in Zirkelbachs Darstellung mit Knochen Geige spielt und sich dabei, wie gefangen in einer Rundwirkmaschine, um die eigene Achse dreht, wobei die Kopfbedeckung an eine Garnspindel erinnert. »Finale - Die Maschine fordert ihre Opfer« nennt Brandner das abschließende Stück. Inspiriert von Zirkelbachs »Human Rundstricke 1-3« gleicht die Musik einer schaurigen Achterbahnfahrt, die mit gruseligen Orgeltönen endet. (GEA)