Logo
Aktuell Nachruf

Meister des Kleinstadt-Alptraums: Kult-Filmregisseur David Lynch gestorben

Kurz vor seinem 79. Geburtstag ist der US-amerikanische Kult-Filmregisseur David Lynch gestorben

Der Künstler ließ den Filmemacher nie ganz los: David Lynch bei einem Interview 2013 in Madrid. FOTO: HUESCA/ EFE/DPA
Der Künstler ließ den Filmemacher nie ganz los: David Lynch bei einem Interview 2013 in Madrid. FOTO: HUESCA/ EFE/DPA
Der Künstler ließ den Filmemacher nie ganz los: David Lynch bei einem Interview 2013 in Madrid. FOTO: HUESCA/ EFE/DPA

LOS ANGELES. Die Szene hat Kinogeschichte geschrieben: Ein Student schlendert die Vorgärten einer beschaulichen US-Kleinstadt entlang, als er mitten auf einer idyllischen Wiese etwas entdeckt – ein abgeschnittenes menschliches Ohr. Kein anderer Filmregisseur hat so schockierend und mit so bezwingender surrealer Fantasie immer wieder das Alptraumhafte hinter den adretten Bürgerfassaden enthüllt wie der US-Amerikaner David Lynch. Nun ist er Medienberichten zufolge kurz vor seinem 79. Geburtstag am 20. Januar gestorben. Lynch, der seit Langem in Los Angeles lebte, litt seit Jahren an einem chronischen Lungenleiden – Lynch war starker Raucher.

Sein Film »Blue Velvet« von 1986, der vom abgeschnittenen Ohr aus in einen Strudel aus Gewalt, Korruption und sadomasochistischem Sex führt, löste heiße Diskussionen aus – und wurde zum Kult. So war es oft bei Lynch, kalt ließen seine Streifen wenige. Mit der Fernsehserie »Twin Peaks« gelang ihm ein noch umfassenderes, fast schon globales Phänomen. In zig Nationen fieberten Zuschauer mit bei den Ermittlungen um den Tod der jungen Laura Palmer im fiktiven US-Kleinstädtchen Twin Peaks. Und auch hier liegt der Reiz in einer surrealen Atmosphäre – und dem Strudel aus Korruption, Sex und Gewalt, der sich hinter der sauberen Kleinstadtfassade zeigt.

Kindheit mit Naturbezug

Die Elemente dazu hatte Lynch bereits in seiner Jugend eingesammelt. Seine Kindheit als Sohn eines Agrarwissenschaftlers schildert er trotz vieler Umzüge als unbeschwert. Er kam viel mit Natur in Berührung, sezierte im Zuge dessen auch Frösche und Mäuse – Organe als Schauerelemente spielen auch in manchen seiner Filme eine Rolle. Die alptraumhafte Seite der Gesellschaft bekam er zu spüren, als er als Student in Philadelphia ein billiges, aber heruntergekommenes Haus in einer armen Gegend erwarb. Er beschrieb das Viertel später als Hölle aus Dreck und Aggression.

Lynchs ursprünglicher Plan war, bildender Künstler zu werden. Mit einem Freund bereiste er 1965 Europa auf der Suche nach inspiration, studierte Kunst in Boston und Philadelphia. Auch in der Kunst wechselte er von freundlichen zu düsteren Bildwelten: Zeitweise klatschte er im Action-Painting-Stil schwarze Farbmassen auf den Bildgrund.

Zum Film kam er über die obsessive Vorstellung, seinen Bildern fehle die Bewegung. Was er durch eine Projektion in Dauerschleife auf eine modellierte Gipsform realisierte. Über diesen Kurzfilm – eigentlich eher eine Installation – kam er 1970 zu einem ersten »richtigen« Filmprojekt, »The Grandmother«, mit dem er umgehend Preise holte – Eintrittskarte fürs Filmstudium in Los Angeles.

Ein Mainstream-Filmemacher sollte Lynch nie werden, den surrealistisch-experimentellen Künstler in sich wurde er nie los. Was jeden Film zu einem Ringen mit Studiobossen und Produzenten machte. Immer wieder fand er welche, die sich für seinen surrealen Stil und Experimentalgeist begeisterten, aber oft war es ein Kampf. Sein erstes größeres Filmprojekt »Eraserhead« zog sich vier Jahre hin bis 1976; zwischendurch drehte ihm das Studio AFI immer wieder den Geldhahn zu. Das düster-expressionistische Werk in der Nachfolge von Luis Buñuel gilt heute ebenfalls als Kultfilm.

Flop mit »Dune«

Künstlerisch ambitioniert, wie er war, gab es bei Lynch oft nur hop oder top. Seine Verfilmung von Frank Herberts legendärer Science-Fiction-Saga »Dune – Der Wüstenplanet« geriet 1984 zum dreistündigen Megaflop, die Herbert-Fangemeinde tobte. Aus heutiger Sicht hatte Lynch das Psychedelische des Romans allerdings besser erfasst als manche späteren Verfilmungen. Mit »Blue Velvet« rehabilitierte er sich. Mit »Wild at Heart« mit Nicolas Cage und Laura Dern in den Hauptrollen kehrte zum Thema der ersehnten Bürgeridylle zurück, die in Blut und Gewalt untergeht – hier, weil die Mutter der Braut die Mörder schickt. Erneut ein Erfolg.

Die 90er brachten Rückschläge. Eine TV-Serie zur »Twin Peaks«-Vorgeschichte floppte, andere Projekte ebenfalls. Ende der 90er war Lynch jedoch wieder da, mit »Lost Highway«, ein Film, den Komponistin Olga Neuwirth und Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sogar auf die Opernbühne brachten. Mit »The Straight Story« über einen alten Mann, der mit seinem Aufsitz-Rasenmäher die USA durchquert, zeigte Lynch sich von einer neuen Seite – ohne dunkle Rätsel und Gewaltszenen. »Mulholland Drive – Straße der Finsternis«, ursprünglich als Serie geplant, brachte ihm als Kinofilm sogar den Regiepreis in Cannes ein.

Bewegt war auch Lynchs Privatleben. Viermal war er verheiratet, von 1986 bis 1990 zudem mit der Schauspielerin Isabella Rossellini liiert. Zuletzt heiratete er 2009 die Schauspielerin Emily Stofle, 2012 kam seine zweite Tochter zur Welt. (GEA)