PFULLINGEN. Abwechslung am Dirigentenpult ist seit 20 Jahren die Konstante beim Pfullinger Martinskollegium. Seit dem Tod seines Langzeit-Leiters Ulrich Marquardt 2006 haben die ambitionierten Amateure immer projektweise musikalische Leiter hinzugezogen. Eine ungewöhnliche Konstellation hat sich für das erste von zwei Jubiläumskonzerten ergeben: Den Auftritt am kommenden Sonntag, 29. Juni, um 19 Uhr in den Pfullinger Hallen werden Bratscher Gunter Teuffel und Geigerin Annette Schäfer gemeinsam leiten – als Mitspielende aus dem Orchester.
Das funktioniert, weil das Ensemble diesmal als reine Streicherformation antritt. Und weil man ähnliches bereits mit Stefan Knote praktiziert hatte, der vom ersten Geigenpult aus leitete. Was den Charme eines kammermusikalischen Miteinanders hat. So vollzieht sich denn auch die vom GEA besuchte Probe, die Gunter Teuffel leitet, die Bratsche im Anschlag. Man hört aufeinander, man atmet sogar miteinander. So fordert es Teuffel von den Cellisten im Adagio aus Bruckners Streichquintett F-Dur.
Zwei junge Solisten
Diesen in Erhabenheit schmelzenden Bruckner gönnen sie sich zum Jubiläum. Ehe man mit Elgars Cellokonzert in tiefe Trauer über seinen Verlust enger Freunde im Ersten Weltkrieg abtaucht. Eines der berührendsten Cello-Werke überhaupt. Leos Janáceks frühe Suite für Streichorchester schlägt den Bogen vom Humoriker Haydn bis zum Melodiker Dvorák. Ehe das erste Violinkonzert von Niccolò Paganini die Zuhörer mit einem Feuerwerk an Virtuosität überrollt. Zwei junge Solisten sind dabei: Im Elgar-Konzert Clara Emilia Teuffel, die Tochter des Leitungspaares, 25, noch im Masterstudium; bei Paganini Geiger Anton Tkacz, seit kurzem Master-Absolvent.
Jung waren auch diejenigen, die 1975 das Martinskollegium gründeten – sie kamen vorwiegend aus dem Reutlinger Jugendorchester, heute Junge Sinfonie, und dem Hochschulorchester der PH Reutlingen, die später nach Ludwigsburg abwanderte. Manch einer aus dieser Ära, wie der Stimmführer der Zweiten Geigen Hans Batsching, ist noch heute dabei.
Start einer jungen Truppe
Für Erich Reustlen, Dozent für Dirigieren an der PH, war es die letzte einer ganzen Reihe von Gründungen. Die Junge Sinfonie hatte er ins Leben gerufen, auch die Süddeutsche Philharmonie, die später nach Esslingen abwanderte. Zu seinen vielen Leitungsaufgaben gehörte die Kantorei der Pfullinger Martinskirche – für sie wollte er ein stehendes Begleitorchester haben. Bis dahin hatte er wechselnde Ensembles hinzugezogen. Beim ersten großen Auftritt 1975 mit Bachs »Matthäuspassion« wirkte denn auch zusätzlich noch das Reutlinger Jugendorchester mit.
So ganz konnte Reustlen den Sinfoniker in sich nicht ausblenden, so wenig wie die Musiker, die meist aus sinfonischen Ensembles kamen. Bereits im Jahr nach Gründung legte das Martinskollegium ein eigenes Konzert hin. Mindestens einmal im Jahr war man von nun an nicht nur Begleiter, sondern alleine groß. Man spielte Gluck, Schubert, Haydn, Mozart, dazwischen auch mal Modernes von Genzmer, Hindemith oder Tippett; ein Konzert 1981 vereinte fast schon revolutionär Musik von Bach mit Aaron Copland, Michael Tippett und Charles Ives.
Abrupt gab Reustlen Ende 1984 seinen Rückzug bekannt – was tun? Durch Zufall lernte Rainer Lachenmann, Bratscher beim Martinskollegium, Ulrich Marquardt kennen, Geiger im SDR-Rundfunkorchester, dem späteren SWR-Symphonieorchester. Lachenmann, damals Daimler-Mitarbeiter, spielte im Kammerorchester des Unternehmens – für eine Stimmprobe hatte man Marquardt hinzugezogen. Man kam ins Gespräch, stellte fest, dass Marquardt nicht allzu weit weg wohnte – und hatte einen neuen Dirigenten.
Solidarität der SWR-Kollegen
Er blieb 20 Jahre – eine Ära. Eine glückliche, bis Marquardts Krebserkrankung ihn allzu früh abberief. Marquardt erschloss dem Orchester die sinfonische Literatur, man spielte selbst Beethoven-Sinfonien. Sein Tod riss eine schmerzhafte Lücke. Bereits auf seiner Beerdigung, versicherten Kollegen aus dem Rundfunkorchester: »Wir lassen euch nicht hängen.«
So war es auch. Im Wechsel stemmten Kollegen des Verstorbenen Projekte mit dem Pfullinger Orchester: die Geiger Stefan Knote und Stefan Bornscheuer, der Cellist Francis Gouton, später auch andere wie die Stuttgarterin Friederike Kienle. Das Modell hält bis heute, auch wenn Knote sich zuletzt wegen vieler anderer Projekte zurückzog.
Konzertinfo
Das Martinskollegium spielt in Streicherformation am kommenden Sonntag, 29. Juni, um 19 Uhr in den Pfullinger Hallen Werke von Bruckner, Elgar, Janácek und Paganini. Solisten sind Anton Tkacz, Violine, und Clara Emilia Teuffel, Cello. Die Leitung haben Annette Schäfer und Gunter Teuffel. (GEA)
www.martinskollegium.de
Mit wechselnden Leitern stemmte man Glanzwerke der Klassik wie Mozarts »Sinfonia Concertante«, Wagners »Siegfried-Idyll«, Beethovens Tripelkonzert oder seine Sinfonie Nr. 6 »Pastorale«. Man wagte sich an Spätromantiker wie Respighi und Bruckner, an Schumanns vierte Sinfonie, an die erste von Brahms und Dvoráks Nr. 9 »Aus der Neuen Welt«. Nahm die Moderne in den Blick mit Samuel Barber, Paul Hindemith, Charles Ives. Traute sich an Familienstück-Raritäten wie Francis Poulencs »Babar, der Elefant« oder die Mär vom friedliebenden Stier Ferdinand. Man hatte oft junge, hochbegabte Solisten zu Gast, arbeitete mit der Sopranistin Johanna Pommranz zusammen, dem Cellisten Thomas Haas, Pianistin Katharina Schlenker und vielen anderen, holte den Stuttgarter Wortkünstler Timo Brunke.
Am 30. November wird weitergefeiert mit dem zweiten Jubiläumskonzert, dann auch mit Bläsern und mit Schumanns »Rheinischer Sinfonie«, Mendelssohns »Hebriden«-Ouvertüre sowie Violinromanzen von Beethoven und Dvorák. (GEA)