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Aktuell Lesung

Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre in Stuttgart

Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre machen im Stuttgarter Theaterhaus ihr Buch »Kein Grund, gleich so rumzuschreien« zum Bühnenstück.

Benjamin von Stuckrad-Barre (links) und Martin Suter im Stuttgarter Theaterhaus.
Benjamin von Stuckrad-Barre (links) und Martin Suter im Stuttgarter Theaterhaus. Foto: Brigitte Gisel
Benjamin von Stuckrad-Barre (links) und Martin Suter im Stuttgarter Theaterhaus.
Foto: Brigitte Gisel

STUTTGART. Ihr Ansinnen taugt als Männerwitz. Und der geht so: Treffen sich zwei Männer, um miteinander zu reden. Punkt. Die Beschränktheit männlicher Kommunikation mag auf gefühlt 70 Prozent der Geschlechtsgenossen jenseits des Stammtischs zutreffen. Nicht aber auf den Schweizer Schriftsteller Martin Suter und seinen deutschen Kollegen und Freund Benjamin von Stuckrad-Barre. Die beiden können nicht nur miteinander reden. Sie machen daraus auch noch ein Buch und eine Show. Im Stuttgarter Theaterhaus haben sie jetzt mit einer comedyhaften Lesung aus ihrem jüngsten Gesprächsband »Kein Grund, gleich so rumzuschreien« ein Feuerwerk an Sprachwitz und Bühnenpräsenz gezündet. Chapeau. Die rund 1.000 Zuhörer waren begeistert.

Pop als Intro, Paolo Contes »It’s Wonderful« zum Abgang, als Zwischenstück spielt Martin Suter auf der Mundharmonika »Der Mond ist aufgegangen« und mehr. Dazwischen viel Buch und ein bisschen Stuttgarter Bahnhof und Weltlage. »Der Stuttgarter Bahnhof hat einen schönen Eingang, aber da ist jetzt kein Eingang mehr«, kommentiert Suter. Der 76-jährige Suter und das inzwischen 50 gewordene frühere Enfant terrible Stuckrad-Barre wirken befreit, die Lesung ist für sie willkommene Gelegenheit, der Rampensau Auslauf zu geben. Ihre Dialoge auf der Bühne sind nah am Buch und doch eigen. Nicht nur, weil Martin Suter manchmal kurz in der Zeile verrutscht und seinen Einsatz verpasst.

Plattitüden und existenzielle Fragen

Die Themen ziehen sich von Plattitüden bis zu den existenziellen Fragen des Lebens. Stuckrad-Barre, erfahren als Moderator, gibt das Tempo vor, Suter setzt die Akzente. Herrlich »Stuckis« Gedanken zu Wohnungsbesichtigungen bei frischgebackenen Immobilienbesitzern (»das Grüne ist das Grauen«) und sein Eingeständnis, zum Abtauen seines Hotelkühlschranks kürzlich einen Diplom-Psychiater hinzugezogen zu haben. »Kann man ja nicht jeden ranlassen«, kommentiert Suter trocken. Es geht um Piercings bei Suters Tochter Ana und Tattoos, bei denen man nach Meinung der Autoren den Alterungsprozess des Körpers einrechnen sollte (»sonst wird aus Abba vielleicht mal Aa«).

Was Buch und Lesung auszeichnet: Es bleibt nicht beim Blödeln. Unter der heiteren Oberfläche lauern Abgründe. So geht es um die Trauerbegleitung eines Computerherstellers und die beängstigende Erfahrung, dass sich zwei Handys zusammenschließen und in Guatemala anrufen. Technik, die ein eigenes Leben entwickelt, von dem Menschen ausgeschlossen werden. »Vielleicht führen Bots ein lustigeres Leben als wir«, orakelt Stuckrad-Barre.

Buchinfo

Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre: Kein Grund, gleich so rumzuschreien, 320 Seiten, 26 Euro, Diogenes Verlag, Zürich. (GEA)

Tod und Trauer scheinen immer wieder durch. Angesichts des Tods von Suters Frau Margrith im Jahr 2023 sinnieren die beiden über Mitleid und Beileid. Fast beiläufig gibt Suter Lebenshilfe, erzählt, wie sehr ihn jene Kondolenzbriefe getröstet haben, in denen Freunde Erinnerungen an seine Frau beschrieben hatten. »Das weiß ich jetzt als Konsument dieser Literaturform«, sagt er leise. Es ist einer der dichtesten Momente des Abends. Aber die beiden brechen Besinnlichkeit auf. »Damals hatte ich eine halbe Kirche Blumen im Haus«, sagt Suter. Stuckrad-Barre steigt darauf ein, dreht Wort-Pirouetten. Männer halt. (GEA)