TÜBINGEN. »Fließkraft« nennt Reinhard Brunner seine Ausstellung in der Galerie des Tübinger Künstlerbunds. Ein Titel, der darauf verweist, dass flüssige Farbe Spuren und Bahnen auf der Leinwand hinterlässt. Die Wege, die Farbe einschlagen kann, nutzt Brunner für seine Werke – und schafft so abstrakte Bilder, die von Strukturen und Farbräumen leben.
»Es ist ein Spiel mit dem Zufall, wobei ich versuche, ihn zu beherrschen«, erklärt Brunner. Mehrere Farbschichten trägt er auf die Leinwand auf und lenkt die Fließprozesse, in dem er eingreift. Als erste Farbe spritzt Brunner Schwarz auf. Waagerechte und senkrechte Verläufe entstehen; die sich so bildenden Gitterstrukturen dienen als Hintergrund. Als nächste Farbe kommt Weiß ins Spiel. Hier greift der Künstler zu dem von ihm als »Rührbesen« bezeichneten Gerät: einer sich drehenden Bohrmaschine, die mit einem Farbbesen ausgestattet ist. Diesen Farbauftrag kann er stärker kontrollieren, etwa durch die Drehgeschwindigkeit des Bohrers.
Weiße Tropfen in unterschiedlichen Größen und Dichten gelangen so auf das Bild. Die feingliedrigen Tropfen- und Gitterstrukturen kontrastiert der Künstler mit Farbflächen, bei denen er bewusst die Leuchtkraft der Farben reduziert, indem er sie mit Wasser verdünnt. »Ich hasse kräftige Farben«, betont er. Wie Wolken wirken die Flächen, in denen violette, rosafarbene, grüne Akzente aufschimmern. Sie verbinden sich mit den anderen Strukturen, indem sie diese überlagern.
Wie Galaxien oder Hirnströme
Brunner legt seine Werke immer als Serien an. Dies ist auch bei anderen Arbeiten der Fall, in denen er den schwarzen Hintergrund weglässt. Es sind kleinere Bilder, die Serie heißt »Walking drops«. In der Regel verzichtet der Künstler aber auf Titel. »Ich möchte nichts vorgeben und so eigene Vorstellungen ermöglichen«.
Assoziieren lassen sich mit den Arbeiten ferne Galaxien oder Gehirnströme. Nur eins zeigen sie nicht: nämlich Gegenständliches. Für den Tübinger Kunsttheoretiker Professor Johannes Meinhardt, der die Einführung übernahm, »sehen wir die prozessuale Vergangenheit mit, den Prozess des Fließens, der sich durch die und in den eingetrockneten Spuren des Fließens verewigt hat«.
AUSSTELLUNGSINFO
Die Ausstellung »Fließkraft« von Reinhard Brunner ist bis 1. Oktober in der Künstlerbund-Galerie, Metzergasse 3 in Tübingen zu sehen, Donnerstag/Freitag 16 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 14 Uhr, am 17. September bis 17 Uhr, am 18. September von 12 bis 15 Uhr. (GEA) www.brunner-kunst.de
Brunner, der seit 2005 Mitglied im Künstlerbund ist und in Tübingen unter anderem neuere deutsche Literatur studiert hat, zeigt als größtes Bild ein Werk von 1,80 mal 1,80 Metern. Diese Arbeit, wie auch die kleineren Formate, besitzen auf den ersten Blick viele Ähnlichkeiten. Nur durch genaueres und bewussteres Betrachten fallen die Unterschiede auf. Es ist ein Grund, warum der Künstler in Serien arbeitet. Denn dadurch kann der Betrachter vergleichen und über die Bilder reflektieren. Ein Anschauen, das Professor Meinhardt als »aktives, sehendens Sehen« beschrieb. (GEA)