REUTLINGEN. Auch die Neuauflage der von Thomas Maos und Friedemann Dähn konzipierten »Sonic-Visions«-Reihe lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Bis auf den, dass Musik auch physisch erfahrbar werden und sich im Raum bewegen kann, dass man sich ihr ausgeliefert fühlen mag und ihre Attacken den Körper durchdringen.
Dafür braucht Liu Jia keine zwei Minuten. In ihrer Soloperformance »Sinusstudie« begibt sich die Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg zum Auftakt ins Reich der Sinustöne und taucht die Probebühne in eine surreale Welt synthetischer Klänge, die aus fünf Lautsprechern durch den Raum schwirren. Es hat fast etwas Mathematisches, wie Liu Jia die akustischen Interferenzen durch den Austausch weniger Zahlen vom Laptop aus steuert und auf einer Leinwand visualisiert. Ständig verändert sich das Frequenzverhältnis, und die chinesische Computermusikerin weiß selber »nie so genau, was dabei herauskommt«, wie sie im Gespräch mit Thomas Maos vorher einräumt.
Fremd anmutender Gesang
Die künstlerische Verbindung von Klang und Bild ist auch Thema in der folgenden Performance der kasachisch-türkischen Stimmakrobatin Saadet Türköz und der Schweizer Videokünstlerin Ursula Scherrer. Mit dramatischer Gestik klagt die Sängerin hier durch periodisches Glucksen, Stöhnen, Stammeln und Hecheln ihr Leid. Leise brummelnde Sprechlaute und Klänge von einem Modular-Synthesizer wechseln mit fremd anmutendem Gesang, den Türköz von ihren aus Kasachstan geflohenen Großeltern adaptiert zu haben scheint. Beeindruckend, wie sie mit ihrer Stimme verschiedenste Laute erzeugt und dabei mit den von Ursula Scherrer mit leisen Worten kommentierten Videosequenzen eine Verbindung eingeht.
Auf eine ganz andere Art kurios ist zum Abschluss die Live-Performance des polnischen Multi-Perkussionisten Aleksander Wnuk, der in verschiedene Rollen schlüpft und mit seinen Bewegungen, Schlagstöcken und einem Vibrafon ein wahres Klanginferno auslöst. Es ist, als wolle der mal als hormongesteuerter Mad Max mit Motorradhelm und Biker-Kluft, mal als Vibrafon spielender und schwer atmender Darth Vader auftretende Künstler seinem Publikum zeigen, dass jeder das Zeug zu einem bühnentauglichen Performer hat.
Hormongesteuerter Auftritt
Dazu braucht es vor allem Improvisationsgabe, Spontanität und einen großen Sack voller Humor. Den hat Pierre Jodlowski, der das auf Sensoren basierende Spektakel konzipiert hat. Dabei werden die Bewegungen von Aleksander Wnuk an einen Computer weitergeleitet und in infernalische Klänge umgewandelt. Spektakulär auch die Performance mit dem auf eine Trommel projizierten Frauenmund, mit dem Wnuk per Schlagzeug-Stick und Bürste interagiert.
Fazit: Die rund hundert Besucher erlebten bei der 14. Ausgabe von Sonic Visions experimentierfreudige Performer, die jeder für sich so verwegen und tollkühn musikalisches Neuland beackerten, bis es am Ende tatsächlich fruchtbar wurde. (GEA)