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Mächtiges Schicksalsrad, friedliche Anmut

REUTLINGEN. Dass Carl Orffs »Carmina Burana« (Lieder aus Benediktbeuern) eher selten von Knabenchören gesungen werden, mag an den behandelten Themen, wie Liebe, Wein und Ekstase, liegen. Stimmlich bietet sich eine solche Besetzung – gerade in den sehr hohen Lagen – aber geradezu an.

Dabei war es am Sonntag in der Reutlinger Stadthalle nur konsequent, dass die Knaben der Capella vocalis im zweiten Teil der Kantate (»In taberna« – »In der Kneipe«) vorübergehend die Bühne verließen und den älteren Sängern des Reutlinger Chores, verstärkt durch Mitglieder des Wormser Ensembles Paulinum, das Feld überließen.

Seit Leiter Christian Bonath die Capella übernommen hat, hat sich die Zusammenarbeit der Reutlinger mit den Wormsern mehrfach bewährt, so auch bei der »Carmina«-Aufführung in der Reihe »Reutlingen vokal«, an der außerdem die Württembergische Philharmonie Reutlingen beteiligt war. Die Gesamtleitung lag in den Händen Bonaths, der das Werk auswendig dirigierte.

Ein mächtiger Klang trat einem da im Eröffnungschor »O Fortuna« entgegen. Die Sänger (und wenige Sängerinnen) ließen über ostinatem Rhythmus die Konsonanten des mittellateinischen Textes nur so zischen, das Energetische, Beschwörende und im Folgenden auch Bänkelsängerisch-Heitere war im Chor und Orchester in wunderbaren Schattierungen und Steigerungen zu erleben.

Da folgte dem »Primo vere« (»Im Frühling«) mit seiner andächtig und milde besungenen Idylle der freudig ausgelassene Tanz »Uf dem Anger« mit schönem Flöte- und Paukensolo und Strahlkraft in den Hörnern. Großartig, wie die in Terzen geführten Oberstimmen sich im »Floret silva« Wechselgesänge mit den Tenören lieferten. Die Chorsänger waren mit großer Aufmerksamkeit und sängerischem Esprit bei der Sache.

Lamento des Schwans

Das Orchester steuerte, ob im wiegenden Rhythmus oder in markigen Fanfaren, herrliche Klagfarben bei. Die Solopartien waren mit Susan Eitrich (Sopran), Joaquin Asiain (Tenor) und Thomas Berau (Bariton) glänzend besetzt. Berau beeindruckte mit Verve in den »Taberna«-Stücken und einer auch in der falsettierten Kantilene des Liebeskummer-Solos »Dies, nox et omnia« geschmeidig abgerundeten Stimme.

Asiain machte aus dem Lamento des gebratenen Schwans in der Pfanne ein stimmlich und schauspielerisch überzeugendes Kabinettstückchen. Eitrich verband in den Stücken und Koloraturen des »Cour d’amours« technischen Schliff mit stimmlicher Anmut, wobei ihr Sopran je nach Textstelle strahlend hell oder sanft abgedunkelt klang. Immer wieder gab es in der zu rund zwei Dritteln gefüllten Stadthalle Szenenapplaus – für die Solisten wie für den mit dem Orchester zu überzeugender Klangkraft verschmelzenden Chor.

Im »Amor volat undique« (»Amor flattert überall«) waren die jüngsten Sänger gefordert. Ihr Gesang war zart, beseelt und glockenrein. Das abschließend wieder aufgegriffene »O fortuna« klang beim zweiten Mal noch gereifter, noch runder, noch wuchtiger als zu Beginn. Auf die vom Publikum lautstark eingeforderte Zugabe verzichtete Bonath. Musikalisch war alles gesagt. (GEA)