Das Ensemble des Jungen LTT erzählt im großen Saal des Theaters eine Gute-Nacht-Geschichte der dunklen Art. E.T.A. Hoffmanns Schauererzählung »Der Sandmann« fasziniert seit Jahren in den unterschiedlichsten Interpretationen. Die jetzt in Tübingen uraufgeführte Theaterfassung von Michael Miensopust (auch Regie) entführt einen in eine andere Welt voller böser Überraschungen. Die Bühne erinnert an ein leer gefegtes Krankenzimmer (Ausstattung Christine Brunner-Fenz).
Die Schauspieler tauchen wie Geister aus dem Nichts aus den Wänden hervor und entschwinden ebenso wieder. Wie in einem menschlich gewordenen Kasperltheater erscheinen sie auch über der Zimmerkulisse.
Persiflierte Traumfrau
Henry Braun spielt den Nathanael ständig unter Strom und nervös-panisch bis zum Anschlag. Schließlich fühlt er sich selbst in seinen eigenen vier Wänden nicht mehr sicher. Auch sein Freund Siegmund (Andreas Laufer) und seine Freundin Clara (Angelina Berger) können ihm nicht helfen. Claras gut gemeinte Aufmunterungen wie »Lach! Sei heiter!« können Nathanaels Wahn nicht beschwichtigen.Mit ihrer zu bunten, an die 70er-Jahre erinnernden Kleidung wirken alle Charaktere etwas künstlich. Die immer fröhliche und vernünftige Clara erscheint, nicht nur durch ihr mit Schleifchen verziertes Kleidchen, sehr mädchenhaft. Mit einer Mütze und einem langen Bart ist Coppola/Coppelius/Professor Spalanzani (Rupert Hausner) schon rein optisch eher merkwürdig als bedrohlich angelegt. Für befremdlichen Grusel sorgt Olimpia (Magdalena Flade), in die sich Nathanael verliebt. Mit blonder Wallemähne und in einem tief ausgeschnittenen türkisfarbenen Mantel persifliert sie das gängige Bild einer Traumfrau.
Was sie für Nathanael noch attraktiver macht, ist, dass sie eine gute Zuhörerin ist. Mehr als ein Seufzen oder ein Kichern kommen ihr nämlich nicht über die Lippen. Sie ist schließlich eine täuschend echt wirkende Puppe.
Die satirischen Elemente des Stoffes gefallen dem Publikum hörbar. Man wartet gespannt auf die Grauen, die den Protagonisten heimsuchen. Durch die permanente Atmosphäre der Bedrohung bleibt die Spannung durchweg hoch.
Miensopust hält sich weitgehend an die Textvorlage. Die besonders schaurigen Szenen werden erzählt und nicht dargestellt. Dadurch kann sich das Grauen ganz in der Vorstellungskraft der Zuschauer entfalten. (GEA)

