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Aktuell Sinfoniekonzert

Liebesrausch und Kirmesglück

Die Württembergische Philharmonie und Christiane Libor beim Saisonfinale mit Wagner und Mahler

Strahlende Gesichter nach einem gelungenen Abschluss der Sinfoniekonzertreihe: Chefdirigentin Ariane Matiakh und Sopransolistin
Strahlende Gesichter nach einem gelungenen Abschluss der Sinfoniekonzertreihe: Chefdirigentin Ariane Matiakh und Sopransolistin Christiane Libor. FOTO: KNAUER
Strahlende Gesichter nach einem gelungenen Abschluss der Sinfoniekonzertreihe: Chefdirigentin Ariane Matiakh und Sopransolistin Christiane Libor. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Sie wirkt ganz angekommen beim Orchester am Ende ihrer ersten Spielzeit, die neue Chefdirigentin der Württembergischen Philharmonie Ariane Matiakh. Locker plaudert sie mit Intendant Cornelius Grube in der Einführung zum Sinfoniekonzert am Montagabend in der Stadthalle, ganz leger noch in Jeans. Sie freue sich jedes Mal unbändig, wenn es wieder nach Reutlingen gehe.

Man glaubt es ihr, wenn man sie später im Konzert sieht, nun elegant in Schwarz und Weiß gekleidet. Wie sie am Ende dem Kontrabassisten-Urgestein Günter Fischer um den Hals fällt, der sich in den Ruhestand verabschiedet. Wie sie Mahlers Frühlingsrauschen in seiner ersten Sinfonie die Sporen gibt. Wie sie Funken der Energie ins Orchester schleudert. Einfach mitreißend.

Ob sie eher aus der Emotion oder aus dem Intellekt heraus dirigiert, will Intendant Grube in der Einführung von ihr wissen. »Ohne Emotion kann ich gar nicht dirigieren«, entgegnet Matiakh wie aus der Pistole geschossen. Einen kühlen Kopf müsse sie aber dennoch bewahren.

Klingendes Frühlingspanorama

Es ist gerade diese Mischung, die Matiakh auch in diesem Abschluss der Sinfoniekonzertreihe ausmacht. Dieses Vibrieren, das sie ins Orchester bringt, sodass alles prall, sprühend und lebenssatt klingt. Gerade in Mahlers klingendem Frühlingspanorama samt Kirmes-Schunkeln, Marschmusik und Volksliedgeträller. Heißa, wie es aus sieben Hörnern schallt! Aus Trompeten, Posaunen, der Tuba! Zum Quietschen schrill aus den nach vorne gerichteten Klarinetten!

Aber Matiakh steuert das Geschehen auch mit kühler Präzision durch heikle Gewässer. Etwa wenn scharfe Schläge wie Blitze durch die Stille schneiden. Auch für das knisternde Lauern am Rande der Stille hat sie ein Gespür. Am Anfang der Mahler-Sinfonie etwa, wenn die Natur aus einem mystischen Summen heraus erwacht. Schließlich die sanft wiegende Melancholie, in die das jauchzende Kirmestreiben immer wieder zurücksinkt. Im dritten Satz etwa mit der traurig in der Bratsche, im Fagott summenden Melodie von »Bruder Jakob«. Auch für dieses Mysterium aus Trauer und Geheimnis hat sie ein äußerst sensibles Händchen.

Das alles ergibt einen elektrisierenden Bogen. Aus den Urgründen des Beginns geht es hinein in das quirlige Treiben, wo sich das Tönen von hier und dort wie auf dem Rummelplatz ineinanderschiebt. Mit Trompetern auf und hinter der Bühne, mit sitzenden, am Ende stehenden Hornisten. Hindurch durch all die Momente von Ekstase und Trauer, Euphorie und Schmerz, lärmendem Übermut und wispernder Stille. Mit Bläserdonner und flüsterleise pochenden Pauken. Mit Geigenglanz und Celloseufzen. Mit ruppigem Bratschen-Schmiss, der im Trio des Scherzos in ein versonnenes Klezmer-Tänzchen gleitet. Musik als Welttheater, derb, sinnensatt, fein und tiefgründig. Das Publikum im gut besuchten Saal ist hingerissen, Bravo-Rufe gleich mit dem Schlusston.

Isoldes Liebestod

Mit so einer Feier des Lebens lässt man sich gerne in die (Sinfoniekonzert-) Sommerpause schicken. Ob man das Publikum zum Saisonfinale auch noch unbedingt in den Liebestod schicken musste, ist diskussionswürdig. Auch dazu, zu Wagners »Tristan«, hat Ariane Matiakh indes eine starke Verbindung. Früh hat sie das Werk schon als Assistentin begleitet; und überhaupt fordert sie: »Wir müssen viel mehr Oper spielen, das Orchester macht das so gut!«

Schließlich: Isoldes Liebestod ist bei Wagner nicht Tragödie, sondern Erlösung ins Nirvana. Auch wenn WPR-Intendant Cornelius Grube das in seiner Einführung anstelle der erkrankten Dramaturgin Stefanie Eberhardt deutlich skeptischer sah (eine Einführung, die womöglich ein bisschen zu sehr in einen musikwissenschaftlichen Vortrag ausartete): Was man hört, ist eben nicht Depression, sondern ekstatische Verschmelzung mit der Weltseele.

Eingesprungene Sängerin

Zu Beginn des Vorspiels freilich braucht es kurz, bis man sich in die sehnend ins Weite ziehende Harmonik eingetastet hat. Dann aber kommt dieser Strom aus klingendem Liebesschmerz immer eindrucksvoller ins Fließen. Gekrönt von Christiane Libor als Isolde, auch sie kurzfristig eingesprungen, für die erkrankte Anne Schwanewilms.

Am Vortag hat sie noch die Brünnhilde gesungen, nun Isolde, ein strammes Pensum. Aber die Wagner-Spezialistin aus Karlsruhe absolviert diese Tour de Force mit ruhiger Souveränität. Noch in den ekstatischsten Ausbrüchen der Liebestod-Szene ist sie ganz Herrin der Lage. Je nach Bedarf klingt ihr Sopran schneidend, schmerzlich, voll trunkener Liebessehnsucht oder zart-verklärt. Besonders stark sind ihre kraftvollen, dunkel gefärbten Tiefen. Und nie erliegt sie der Versuchung zu forcieren, selbst wenn die Orchesterwogen hochschlagen. Immer gestaltet sie aus einer berührenden Anmut heraus.

In Wagners Wesendonck-Liedern kann sie Tristan-verwandte Stimmungen unerfüllter Liebe noch einmal anders auskosten. Mal aufgewühlt in »Stehe still!«, mal mit schwül gedämpfter Erotik in »Treibhaus«, mal zart sich verströmend in »Träume«. Ein beeindruckendes Saisonfinale mit einer starken Sängerin. (GEA)