REUTLINGEN. »Wir tanzen in den Abend mit Bizet«, kündigte Dirigent Konrad Heinz zu Beginn des Silvesterkonzerts der Jungen Sinfonie Reutlingen an. Ein Abend, der kaum kurzweiliger und vergnüglicher hätte sein können. Mit der Ouvertüre zu Georges Bizets »Carmen« als temperamentvollem Auftakt. Der Saal der Reutlinger Freien Georgenschule war vollbesetzt, das Publikum am letzten Tag des Jahres um 18 Uhr in Vor-Feierlaune. Bevor am Ende die »Vergnügungszug-Polka« von Johann Strauß (Sohn) durch den Saal rollte, gab es mit Edward Elgars Streicher-Serenade in e-Moll und Gustav Mahlers Zyklus »Lieder eines fahrenden Gesellen« Seelenvoll-Melancholisches.
Der im indischen Mumbai geborene Bariton Frazan Adil Kotwal, der seit November 2024 neben Württembergische-Philharmonie-Intendant Cornelius Grube Vorstand der Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung ist, hinterließ als »fahrender Geselle«, der in der Zeit seiner Wanderschaft versucht, eine unglückliche Liebschaft zu verarbeiten, tiefen Eindruck. Ausdrucksvoll kontrastierte er die Traurigkeit des Protagonisten mit dem Glück seiner Liebsten (die Hochzeit mit einem anderen feiert) und dem Liebreiz der Natur. Entsprechend klangen die Streicher und Bläser wehmütig und resignativ, wurde eine immer wieder aufkeimende heitere Stimmung durch Dissonanzen getrübt. Wobei der Zyklus im eindrucksvoll und mit aufwühlender Dynamik gestalteten Lied »Ich hab' ein glühend Messer (Ein Messer in meiner Brust)« mit dem klagend wiederkehrenden Motiv »O weh!« seinen dramatischen Höhepunkt erreichte.
Fein ausgeleuchtete Seelenzustände
Kotwal, der im Februar am Theater Heilbronn als Don Giovanni debütieren wird, mied in seiner Ausleuchtung der Seelenzustände des Gesellen das allzu Opernhafte, fand vielmehr zu einem eher intim-kammermusikalischen Ton. Was seine Darbietung umso eindrucksvoller machte. Das letzte Lied, »Die zwei blauen Augen von meinem Schatz«, mit seinem trauermarschartigen Rhythmus geriet geheimnisvoll, lyrisch und verschlossen. Zugleich nahm man als Zuhörer Anteil daran, wie der Geselle unter einem Lindenbaum von den Blüten bedeckt wird, einschläft und zum ersten Mal zur Ruhe kommt. Kotwal und das fein auf ihn abgestimmte Orchester erhielten tosenden Applaus.
Den gab es auch nach dem nächsten Stück des Abends, Jens-Peter Ostendorfs »Johnny reitet westwärts«, einem in den 1970er-Jahren uraufgeführten veritablen musikalischen Western für Orchester und Erzähler. Was Samuel Zehendner prägnant mit Worten skizzierte - von einer Verfolgungsjagd in der Prärie über ein Duell bis hin zu Schüssen aus dem Hinterhalt - ergänzte die Junge Sinfonie an Lautmalerischem und Atmosphärischem. Die Versatzstücke eines klassischen Films des Genres waren pathetisch-ironisch, aus heutiger Sicht vielleicht etwas unbedarft, was die indigene Bevölkerung betrifft, zusammengefügt und boten immer wieder Gelegenheit, ungewöhnliche Instrumente ins Spiel zu bringen.
Wunderbare Schattierungen
Die Ouvertüre zu »Carmen« zu Beginn hatte ein Orchester gezeigt, das glänzend Ohrwürmer zu setzen versteht. Leidenschaftlich, rhythmisch pointiert und voller Melos. Bei Elgars Streicher-Serenade waren es immer wieder die Bratschen, die Impulse setzten. Die ersten Geigen waren im zweiten Satz in tiefer Lage zu hören. Schön war, wie in allen drei Sätzen die Dialoge zwischen den Instrumentengruppen verwoben waren. Ein warmer, transparenter Klang und wunderbare Schattierungen machten das Kreisen um Wehmut und Heiterkeit zum Genuss.
Die »Vergnügungszug-Polka« von Johann Strauß (Sohn), eine Schnellpolka im Vierachteltakt, ließ immer wieder das Rattern und Ruckeln einer Eisenbahn der frühen Tage anklingen. Der »Radetzky-Marsch« von Johann Strauß (Vater) wurde diesmal von Blockflöten eingeleitet. (GEA)