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Liebe, Schuld und offene Fragen

REUTLINGEN.18 Jahre jung und bis über beide Ohren verliebt – so beginnt die Geschichte eines Mannes, der bereits länger im US-Staat Virginia hinter Gittern sitzt, als er in Freiheit gelebt hat. Jens Söring wurde zu zwei Mal lebenslang verurteilt – wegen Mordes an Nancy und Derek Haysom, den Eltern seiner damaligen Freundin Elizabeth. Doch der mittlerweile 50-Jährige beteuert bis heute, er sei unschuldig.

Der Fall Jens Söring lässt viele Fragen offen. So fehlen beispielsweise nach heutigen Erkenntnissen DNA-Spuren von Söring am Tatort und wurden einige Zeugen im Rahmen des Verfahrens nicht befragt. Das wird zumindest im neuen Dokumentarfilm von Marcus Vetter und Karin Steinberger deutlich. In »Das Versprechen – erste Liebe lebenslänglich« beleuchten der Tübinger Filmemacher und die Journalistin den Fall neu – und erzählen damit eine Geschichte von Schuld und Unschuld, Lüge und Vertrauen, einem fatalen Versprechen und einem Rechtssystem, das hier vielleicht zu wenig Platz für Zweifel gelassen hat.

Leidenschaftliche Liebesbriefe

Jens Söring und Elizabeth Haysom lernen sich 1984 an der University of Virginia kennen. Ihre Beziehung dokumentieren leidenschaftliche Liebesbriefe, die der Sohn eines deutschen Diplomaten und die zwei Jahre ältere Haysom ausgetauscht haben. Immer wieder schreibt Haysom aber auch davon, wie sie unter ihren Eltern leidet, ihre Mutter soll sie missbraucht haben. Sie wünscht ihnen den Tod. 1985 werden Nancy und Derek Haysom brutal ermordet.

Als die Spur zu Jens und Elizabeth führt, fliehen die beiden nach Europa. 1986 wird das Paar in London verhaftet. Damit beginnt ein Prozess, der in den USA zum Medienspektakel wird. Es sei einer der ersten Prozesse gewesen, die in Virginia live übertragen wurden, sagt Marcus Vetter. Und der Regisseur und sein Team hätten »Glück gehabt, das komplette Prozessmaterial zu finden«. Mit dem Verfahren von Elizabeth Haysom sind das zusammen 150 Stunden Film. Schlussendlich bekommt auch Elizabeth wegen Anstiftung zum Mord 90 Jahre Haft verhängt, Söring sitzt heute bereits seit 30.

Dokumentarfilmer Vetter (»Das Herz von Jenin«) stieß durch Karin Steinberger auf die Geschichte. Die Journalistin, die für die Süddeutschen Zeitung schreibt, habe Jens Söring kennengelernt, als er vor ein paar Jahren hätte nach Deutschland überführt werden sollen, erzählt Vetter – wozu es aufgrund des Beschlusses des neuen Gouverneurs von Virginia nicht kam. Nur ein Interview durften sie mit dem Häftling drehen. Darin erzählt Söring seine Geschichte. »Es gab viele, die meinen, er ist unschuldig«, sagt Vetter.

Aber das Team spricht auch mit Zeugen, die den Deutschen für schuldig halten – der damalige Ermittler Ricky Gardner, sagt das zum Beispiel. So sei ein Fußabdruck, der am Tatort gefunden wurde, Söring zuzuordnen – und damit Beweis für dessen Anwesenheit dort.

Zwei Versionen einer Geschichte

Zwischen der Festnahme und dem Urteil erzählen Söring und Haysom zwei Versionen einer Geschichte. Aussage gegen Aussage? Ganz so einfach ist es nicht. Denn in dem Irrglauben, er besitze dank seines Diplomatenpasses Immunität, gesteht Söring die Tat zunächst im Verhör. »Sie hat ihn völlig im Griff«, sagt Vetter. Und so habe der junge Mann alles riskiert, in dem Glauben, Elizabeth vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren – und so das fatale Versprechen zu halten, das er seiner einstigen großen Liebe gegeben habe. Es sollte dieses Geständnis sein, das Söring zum Verhängnis wird.

Vetter zeigt in »Das Versprechen« viele Facetten des Falls. Die damaligen Ermittler berichten vom Eintreffen am Tatort, ein Privatdetektiv sucht nach Beweisen und immer wieder landet das Bild im Gerichtssaal – und zeigt die Aussagen der umwerfend schönen Elizabeth Haysom und die Unschuldsbekundungen von Jens Söring. Vetter erzählt die brutale Geschichte mit Gefühl. Immer wieder sind Zeilen aus den Liebesbriefen von Elizabeth und Jens zu hören, gesprochen von Imogen Poots und Daniel Brühl. Erschreckend nah wirken die Worte, und genauso nah beginnt sich der Fall anzufühlen. Vor allem nah für einen Dokumentarfilm, der es fast nicht erlaubt, kein eigenes Urteil über die Geschichte zu fällen.

Ob der Fall durch den Film noch einmal aufgerollt wird? »Ich würde mir wünschen, dass eine Diskussion aufkommt«, sagt Vetter. Dass Söring unschuldig ist, behauptet Vetter nicht. Entscheidend sei aber auch nur, »dass der Fall noch so viele Fragen offen lässt«. (GEA)