REUTLINGEN. Es ist ein heller, freundlich-ironischer und poetischer Kopf, der da in die Tasten greift am Donnerstagabend im Reutlinger Pappelgarten: Zu Gast ist Tommy Mammel, ein Songwriter, der in Stuttgart lebt und dort spöttisch eine »Jeunesse d’or« erblickt hat, die am Marktbrunnen hängt, Remstalviertele schlotzt und nicht weiß, was tun. Mammel hat seit 1996 eine ganze Reihe von CDs mit seinen Liedern gefüllt; er singt vom Alltag und der Liebe, ist feinsinnig und wortgewandt, leiht sich auch Stücke von italienischen oder französischen Interpreten, lässt sich aber nur ungern auf die englische Sprache ein. So etwas, meint er, habe im Programm eines deutschen Chansonniers nichts zu suchen.
Sein Publikum ist klein: Weniger als ein Dutzend Gäste sind in den Pappelgarten gekommen. Abstand zu halten ist nicht schwer – und Tommy Mammel deutet die Situation geschickt um: Ein exklusives Konzert, sagt er, gebe er hier, für die Avantgarde Reutlingens. Er beginnt den Abend schnell, melodisch, leicht melancholisch, mit einem Stück in Italienisch.
Das zweite Stück kommt als Hommage an den melodramatischen Elvis Costello, zweifellos ein Vorbild des Stuttgarter Sängers – und Tommy Mammel erzählt dazu die Geschichte eines Costello-Songs, der von einer Dame handelt, die alle Schallplatten eines Mannes, den sie nicht mehr liebte, zerkratzte und mit Lippenstift beschmierte – eine fürchterliche Rache. Eine Geschichte, die Tommy Mammel sogleich zu einem eigenen Stück inspirierte.
Begleitet wird Mammel von Thomas Christiansen an der Gitarre, Matthias Bergmann an Schlagzeug; später schließt Karin Miller auf zur Band, spielt das Akkordeon, ein Keyboard, das hinter Mammels Keyboard positioniert ist. Sie singt mit ihm im Chor, schüttelt Percussion-Instrumente. Die Musiker umspielen mit leichter Hand, stilsicher und mit viel Gefühl Mammels Worte, seine helle, dezent raue Stimme, die die sperrige deutsche Sprache jederzeit in eine Melodie zu zwingen vermag. So lässig all dies wirkt, so präzise ist es gearbeitet; es mischen sich beiläufig Einflüsse von Jazz, Chanson und Latin in den Liedermachersound, die Instrumente setzen feine Akzente. Christiansen wird von Mammel später beim passenden Song, zum Spieler einer »Sexualgitarre« ernannt.
Humoristische Exkurse
Mammels Geschichten, die Anekdoten und die humoristischen Exkurse, die er zwischen seine Lieder legt, gehören so sehr zum Abend wie seine delikate Musik. Liebeslieder, das erfährt man da, sind auf Deutsch nur zu ertragen, wenn es eine Zigarette dazu gibt. Am besten eine aus echtem Orienttabak, wie die Marke Nil ihn enthielt, die mittlerweile nicht mehr verkauft wird. »Weil sie ungesund ist«, sagt der Songwriter, lacht und träumt von der Vergangenheit. Sehr lyrisch, innig und daseinsverliebt singt Mammel auch von anderen Dingen, die er vermissen würde, wenn er nicht mehr da wäre, schöne Alltäglichkeiten allesamt.
Mammel singt vom Tanzen, gesteht, dass er es nicht kann, und Karin Millers Akkordeonspiel verschiebt die Stimmung ins Romantische. Thomas Christiansens Gitarre gleitet vorbei mit kleinen Melodien; Christiansen tritt ans Keyboard, unterstützt Mammel bei einem lateinamerikanischen Rhythmus. Und Mammel schwärmt von der Erotik, der Liebe im Winter (»Man kann viel mehr ausziehen!«), zitiert Kurt Vonnegut, der behauptete, die Erdanziehungskraft wirke auf unterschiedliche Menschen in unterschiedlichem Maße. Er singt auch vom samstäglichen Ehe-Sex – »wenn man samstagvormittags beim Breuninger war« und sich getraut hat, in die Dessousabteilung zu gehen, um mit hochroten Ohren für die Gattin einzukaufen. Die ihm den Nachmittag dann aber mit einem Schlafanzug in Schwarz-Rot-Gold verdirbt.
Seine Beschreibung der Breuninger-Verkäuferinnen und der schrägen Augenbrauen französischer Sänger brennt sich fest ins Gedächtnis. Mammel singt im Duett mit Karin Miller, weckt die Erinnerung an Jeanne Moreau, übertreibt die französische Aussprache, verführt und erheitert, greift in die Tasten – der nächste »Italo-Heuler« kommt bestimmt. (GEA)