Weil die Nachfrage solche Wellen schlug, wechselte der Veranstalter im Vorfeld vom Mozartsaal der Liederhalle (750 Sitze) in den Beethovensaal (2 200). Und hatte damit richtig gepokert, auch der große Saal war am Montag restlos ausverkauft. Kurz nach acht, als Art Garfunkel die Bühne betrat, wurde bereits euphorischer geklatscht als bei vielen anderen Musikern am Konzert-Ende. Es war ein Lebenswerk-Applaus, und nicht der letzte an dem Abend.
Da ist er also. Der 74-Jährige trägt nach Jahrzehnten immer noch Weste überm weißen Hemd, statt rotblond gelockten Wuschelhaaren blieb ein grauer Kranz. Und natürlich auch dieses Repertoire. Lieder, die für das größtenteils über 50 Jahre alte Publikum nach Jugend, nach intensivem Leben klingen. So ein Konzert ist immer auch ein bisschen Jukebox. Und die Gäste des intimen Montagabends bevorzugen, der Applausvergleich zeigt’s, ganz eindeutig die Sparte »Greatest Hits«.
Was ist mit seiner Stimme los?
Die sind ja auch dabei. Mit »April Come She Will« startet er und legt gleich »The Boxer« nach. Umjubelt – aber beim hymnischen Refrain »Lie-la-lie« spätestens geraten diejenigen ins Grübeln, die es noch nicht wissen: Was ist bloß mit dieser einst so vertrauten Stimme passiert? Art Garfunkel klingt nur noch wie ein Rest seiner selbst. Nicht mehr glockenhell und strahlend. Die markanten Höhen: weg. Kaum mehr als eine Oktave Stimmumfang, oben haucht er in Kopfstimme und trifft dabei längst nicht immer. Etliche Songs variiert er deswegen geschickt, rückt hohe Passagen tiefer. Das mindert das Wiedererkennen, das Mitsingen und musikalische Heimkommen durchaus.Das Internet gibt preis: 2010 verschluckte der Sänger sich nach einem Konzert an einem Hummer. Sein Sohn schaffte es, den Fremdkörper zu entfernen. Art Garfunkel überlebte – aber seine Stimme nicht. Er blieb heiser und kämpfte über Jahre um jeden Ton und um seine Rückkehr auf die Bühne, wo er heute eine eigentümliche, auch anrührende Zerbrechlichkeit ausstrahlt. Memento mori.
Wie nötig, wie alternativlos diese Rückkehr auf die Bühne war, begreift man im Lauf des Abends. Denn dort droben, flankiert von zwei brillanten Musikern an Gitarre und Tasten, steht ein Mann, der in Applaus badet und an seinem eigenen Denkmal arbeitet. Zumal er selbst absolut alles an sich selbst für feiernswert zu halten scheint.
Da die Stimme nicht über weite Strecken trägt, rezitiert er in den zwei je 40 Minuten dauernden Auftritten auch ausgiebig, denn er ist ja auch Autor. Er ist auch Schauspieler, arbeitete mit Jack Nicholson, wird erzählt. Und er ist befreundet mit Al Pacino und füllte all diese großen Konzerthallen auf der Welt, die er sich nicht entblödet aufzuzählen. Was ist los, Herr Garfunkel? Immer noch nicht überwunden dieses Trauma, dass eben Paul Simon das Genie war? Offenkundig nicht. Nach wie vor macht Garfunkel alle paar Jahre neue Schlagzeilen mit bösen Aussagen über den früheren Duo-Partner. Und auch in Stuttgart kam er nicht ohne mehrere über den Abend verteilte Seitenhiebe aus. Nachdem er sich in gefühligen Texten um sich selbst und das göttliche Geschenk seiner Stimme gedreht hatte, erzählte er die totale Wahrheit über frühe Tage von Simon & Garfunkel. Liebes Publikum, bitte behalten Sie das so in Erinnerung und keinesfalls anders!
Bis zu 85 Euro Eintritt
Zwischen 50 und 85 Euro haben die Zuhörer für den Vorlese- und Erinnerungsabend investiert, und sie tun alles, um auf ihre Kosten zu kommen. Sie klatschen mit, kaum dass »Sound of Silence« mal mit einem rhythmischeren Gitarrenpart unterlegt ist, und sie lieben gen Bühne, dass es quasi Funken sprüht. »Bright Eyes« ist sein einzig wirklich bekannter Solo-Titel, auch hierfür brandet der Applaus mächtig. »Scarborough Fair« klingt tatsächlich wie einst, war ja schon immer gehaucht. Ähnlich gänsehautverdächtig ist seine Interpretation von Randy Newmans »Real Emotional Girl«.Gegen Ende gibt es immer wieder Standing Ovations. »Bridge Over Troubled Water« ist auch als Fragment groß. Vielleicht, ja, höchstwahrscheinlich berührt der zerbrechliche Rest von Art Garfunkel die Herzen seiner ebenfalls alternden Fans noch tiefer als je zuvor. Wir werden alle älter. Memento mori. Sing weiter, hör nicht auf! (GEA)