REUTLINGEN. Trauern mit Perderecki, Trost finden bei Brahms – das war das Motto beim Sinfoniekonzert der Württembergischen Philharmonie Reutlingen am Montagabend in der sehr gut besuchten Stadthalle. Statt Frühlingsgefühlen zu frönen, kehrte das Orchester noch einmal in den vorösterlichen Gedankenkreis von Tod und Vergänglichkeit zurück. Mit einem Programm, das eher Oratorienabend war als Sinfoniekonzert. Was dem Publikum die Begegnung mit den Stimmen des Landesjugendchors Baden-Württemberg bescherte. Und der bot Himmlisches in Fülle als Ausgleich zu Pendereckis Düsternis.
Zwei zentrale Requiem-Kompositionen prallten hier aufeinander. Das Hauptwerk bildete im zweiten Teil das »Deutsche Requiem« von Johannes Brahms, ergänzt im ersten Teil durch das »Lacrimosa« aus Krzysztof Pendereckis »Polnischem Requiem« und zwei weiteren Stücken von ihm. Das »Lacrimosa« (»Jener Tag wird Tränen sehen ...«) steigt aus Cello-Düsternis auf; ätherisch schweben die Stimmen des Landesjugendchors über dem dunklen Orchestergrund. Solistin Marysol Schalit vollzieht mit zartem, einfühlsam geführtem Sopran den Bogen von Klage zur Hoffnung. »Lass, Gott, deine Engel schweben«, singt sie auf Latein mit Blick auf den Tag der Auferstehung – und die jungen Stimmen hinter ihr schaffen tatsächlich diese Schimmern wie aus dem Jenseits herüber.
Dunkles von Penderecki
Zwei nicht weniger dunkle Instrumentalstücke Pendereckis rahmen diesen Requiemsatz. Das Adagio aus seiner dritten Sinfonie schickt Bläserstimmen – Flöte, Horn, Piccolo, Klarinette – wie verlorene Seelen durch das Zwielicht chromatischer Streicherbewegungen. Die Ciaconna mit ihrer wehmütigen Melodik über absteigenden Bassfiguren ist ergreifender Klagegesang der Streicher. Faszinierend, wie der polnische Dirigent Pawel Kapula mit den Musikern in diesen Sphären klanglichen Halbschattens die Spannung hält.
Im Brahms-Requiem kann der von Salome Tendies einstudierte Landesjugendchor dann so richtig zeigen, was er drauf hat. Selten hat man das Werk mit einer so präzisen Ausleuchtung der Dynamikverläufe erlebt. In den leisen Stellen schimmern die 80 Stimmen wie ein Traumgebilde. Wenn es jedoch im zweiten Satz um die Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit geht (»Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«), dann steht der Klang wie eine Wand im Raum. Als Auswahlchor kann das Ensemble Männer- wie Frauenstimmen ganz ausgeglichen besetzen. Weshalb man nicht nur seidenweich schimmernde Soprane und samtige Altstimmen erlebt, sondern auch Tenöre und Bässe voller Wärme und runder Anschmiegsamkeit. Wunderbar!
Beeindruckendes Requiem
Dirigent Pawel Kapula entwickelt das Werk aus einem zarten, verinnerlichten Grundton heraus. Bringt dabei die Farben des Orchesters schön zur Geltung und verbindet sie nahtlos mit dem geschmeidigen, schlüssigen Chorklang. Die beiden Solisten fügen sich bestens in dieses Konzept. Rund und kraftvoll erhebt sich der Bariton von Äneas Humm im dritten Satz in seiner Auseinandersetzung mit der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit; anrührend tritt er in ein Zwiegespräch mit dem Chor. Mit zartem, voller Einfühlung geführten Sopran spendet Marysol Schalit Trost im fünften Satz, lässt das Zarte ihrer schlanken Stimme spüren und steigert dann zu strahlenden Höhen.
Zentrum aber bleibt der wunderbare Chor. Wie materielos steigt er aus der Düsternis der Cello- und Bratschenfiguren des Beginns auf, steigert sich zu freudig-kraftvoller Hoffnung. Macht aus den Umschlägen von wuchtigem Ernst zu erlösender Freude im zweiten Satz ein Ereignis. Zeichnet im zentralen vierten Satz in sanft wiegenden Linien eine Vision von Geborgenheit und Aufgehobensein in Gott. Ringt im sechsten Satz an der Seite des Bariton-Solisten in aufgewühlter Dramatik mit den letzten Dingen: »Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?« Um im Schlusssatz das Werk in einer zarten Jenseitsvision verklingen zu lassen. Ein wahrhaft beeindruckender Auftritt, eine große Gesamtleistung. Der Beifall fiel entsprechend enthusiastisch aus – der ernsten Thematik zum Trotz fast schon frühlingshaft euphorisch. (GEA)