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Kurzweil und grazile Eleganz: Clara Blessing und Ralf Waldner bei »Musica Antiqua«

In der Sommermusik der Reutlinger Musica-Antiqua-Reihe glänzten Clara Blessing und Ralf Waldner in der Stephanuskirche mit »Klingender Geografie«.

Ralf Waldner und Clara Blessing in der Sondelfinger Stephanuskirche.
Ralf Waldner und Clara Blessing in der Sondelfinger Stephanuskirche. Foto: Jörg Riedlbauer
Ralf Waldner und Clara Blessing in der Sondelfinger Stephanuskirche.
Foto: Jörg Riedlbauer

REUTLINGEN-SONDELFINGEN. Erdkundeunterricht und Talentförderung vor 1700: Der Hildesheimer Gymnasial-Rektor Johann Christoph Losius verfasst ein Lehrbuch, in dem alle wichtigen Städte, Berge, Seen und Flüsse mit ihren jeweiligen Charakteristika aufgelistet sind. Aber nicht etwa nur die in Norddeutschland, sondern auch jene in England, Frankreich, Italien oder Spanien.

Harter Lernstoff also, erst recht für die Kinder von damals, für die Auslandsreisen so gut wie gar nicht möglich gewesen sind. Also sann er auf Lernhilfen. Schrieb Merkverse und baute Eselsbrücken. Und damit sich seine Schüler all die fremden Begriffe noch besser einprägen konnten, ließ er hübsche Melodien dazu komponieren. Hierfür beauftragte er einen anderen Schüler, dessen Musikalität ihm bei Inspektionsreisen in seinem Sprengel bereits aufgefallen war: Georg Philipp Telemann. So entstand die »Klingende Geographie«, eine Sammlung von kurzweiligen Miniaturen, die sich jetzt als roter Faden durch die Sommermusik der Musica-Antiqua-Reihe in der Stephanuskirche Sondelfingen zog.

Oboenton vom Gesang her gedacht

Clara Blessing, Professorin für Oboe an der Würzburger Musikhochschule und gefragte Instrumentalistin in renommierten Ensembles wie dem Concerto Köln oder dem English Consort, führte genauso launig wie kundig durch das Programm, gab musikhistorisch fundierte Erläuterungen zum von ihr verwendeten Nachbau einer Barockoboe und zeigte bereits im einleitenden Adagio aus einer anderen Telemann-Sonate, dass sie den Oboenton vom Gesang her denkt. Schon der Anfangston entwickelte sich wie das kunstvolle »Mezza di voce« einer Sängerin, ließ Anmut und Wärme verströmen, gefiel durch sorgfältig platziertes An- und Abschwellen, ohne deswegen ins Manierierte abzugleiten.

In Couperins 7. Konzert spann sie ihre Kantilenen fort, löste die Schwerblütigkeit einer Sarabande in Eleganz auf, setzte wahrhaft zart die Spielvorschrift »Tendrement« der Siciliène um und löste auch den scheinbaren Widerspruch von »Gravement et gracieusement«, womit Couperin seinen Eingangssatz überschrieben hatte. Indem sie das Schwere auf das Zeitmaß der Haupt-Taktteile bezog und das Graziöse auf deren fantasievoll ausgeführten Ornamente.

Dramatische Akzente

Derlei Fantasie allerdings musste sie sich in William Babells 1. Sonate verkneifen. Denn dieser hierzulande nur selten aufgeführte englische Komponist überließ im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen seine Verzierungen nicht den Spielern, sondern schrieb sie im Detail aus und damit vor. Was Blessing bravourös nachgezeichnet hat. Wie sie sich auch dramatisch akzentuierend in die herbe Klangwelt einer c-Moll-Sonate des nicht minder selten zu hörenden katalanischen Komponisten Joan Baptista Plá einfand.

Ihr Partner am Cembalo war Ralf Waldner. Er lehrt ebenfalls an der Hochschule für Musik Würzburg, im Fach Historische Tasteninstrumente. Seine Aufgabe war zunächst die für Musik dieser Zeit obligatorische Generalbass-Begleitung, und er ging genauso präzise wie einfühlsam auf die Gestaltung durch die Oboistin ein. Wo allerdings ab den 1740er-Jahren musikalischer Fortschritt propagiert worden ist, entwickelte sich das Cembalo von solch dienender Funktion mehr und mehr zu Selbst- und Eigenständigkeit. So unter anderem am Hofe des späteren Preußenkönigs Friedrich II., der schon in seiner Kronprinzenzeit auf Schloss Rheinsberg moderne Musik und Literatur förderte und forderte. Von Christoph Schaffrath beispielsweise, in dessen »Duetto à Cembalo obligato è Oboe« für das Tasteninstrument knifflige Passagen zu bewerkstelligen sind. Diese gelangen Waldner mit virtuoser Rasanz und erkennbarer Lust, es farbig und kraftvoll rauschen zu lassen: Barockmusik mit Fleisch und nicht nur Knochen. (GEA)