EHINGEN. Münsingen haben wir hinter uns gelassen, Ehingen ebenfalls. Sanft schlängelt sich die Landstraße durch die sattgrünen Hügel Oberschwabens. Nicht zu erwarten, dass hier noch irgendetwas kommt, außer Wiesen, Kühen, Schafen. Aber dann ist es plötzlich da: ein schmucker barocker Landsitz, bis an den Rand voll mit moderner Kunst: Schloss Mochental, der einstige Sommersitz der Äbte von Zwiefalten, heute Hauptsitz der Galerie Schrade.
Und das nun schon seit 40 Jahren. Galerien kommen und gehen im unwägbaren Kunstgeschäft; ausgerechnet die Galerie Schrade auf Schloss Mochental widerstand im Niemandsland allen Stürmen. Was auch mit ihrem Betreiber zu tun hat. Ewald Schrade ist ein Dickschädel, wenn auch ein verdammt charmanter. Wenn er sich in seiner Begeisterung für die Kunst etwas in den Kopf gesetzt hat, wickelt er jeden um den Finger. Auf diese Weise hat er nicht nur das Barockschloss im Ehinger Hinterland zur Kunst-Pilgerstätte gemacht, sondern auch die Art Karlsruhe aus der Taufe gehoben.
»Angefangen hat alles eigentlich in der Reutlinger Zelle«
Und doch hat alles in Reutlingen angefangen, in der Zelle genauer. Mit Ulrich Lukaszewitz, Hagen Kluck und anderen gehörte Schrade damals zu denen, die das autonome Jugendkulturzentrum 1968 aus der Taufe hoben. Zunächst als Galerie, damals noch im ehemaligen Lager von Samen-Sprandel an der Ecke Karlstraße/Unter den Linden. Mit der Studentenbewegung wandelte sich die Galerie zum Szenetreff; Schrade wurde das zu politisch, er stieg aus.
Im Hauptberuf betrieb er damals als Freiberufler eine Filiale der Württembergischen Landessparkasse. 1971 zog die Zweigstelle von der unteren in die obere Kaiserstraße. »Plötzlich hatte ich große Schalter- und Nebenräume«, erzählt Schrade. Und beschloss, diese für Ausstellungen zu nutzen. Erster Versuchsballon war eine Schau mit Marionetten aus einem Kurs, den seine damalige Frau besucht hatte, ergänzt durch Aquarelle der Kursleiterin. Beim zweiten Aufschlag 1972 hat Schrade dann schon richtige Großkaliber in petto: Da stellt er Karlsruher Realisten aus, im selben Jahr auch Bilder von Lothar Quinte. Die Großformate schippert er auf dem Dachträger seines Citroën ID 19 an die Achalm: »Sowas war damals noch möglich«, grinst der Kunstmann.
»'Der kommt mir nicht ins Schloss!', hat der Bürgermeister gerufen«
1973 verlagert Schrade seinen Wohnsitz nach Kißlegg im Allgäu, wo seine Frau Kunstkurse gibt. Hier eröffnet sich die Möglichkeit, Räume im Alten Schloss für eine Galerie anzumieten. Schrade, im Hauptberuf immer noch Banker, greift zu. Ugge Bärtle und Erich Mansen gehören zu den ersten, die Schrade hier ausstellt. Erich Mansen gehört bis heute zum Galerieprogramm, inzwischen auch Sohn Matthias. Schrade zeigt Landschaftsbilder zu Oberschwaben und Bodensee von Otto Dix, Erich Heckel und anderen, auch eine große Max-Ackermann-Ausstellung. Und Radierungen von Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass, damals noch ein Novum.
Ausstellungsinfo
Zwei Ausstellungen haben neu eröffnet in der Galerie Schrade Schloß Mochental bei Ehingen: Thomas Röthel zeigt unter dem Titel »Stahlwelten« bis 28. September Eisenplastiken; Martin Spengler zeigt in der Nikolauskapelle unter dem Titel »Cabinet of Wonder« bis 14. September Objekte. Bis 17. August ist zudem die Schau zu Erich Heckel zu sehen. Geöffnet ist Mittwoch bis Samstag 13 bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertage 11 bis 17 Uhr. (GEA)
www.galerie-schrade.de
Der Aufschlag des politisch linken Literatur-Titanen Grass im tiefschwarzen Allgäu sorgt für Wirbel. »Der kommt mir nicht ins Schloss!«, soll der damalige Bürgermeister ausgerufen haben. Während Schrades Galerie im Alten Schloss residierte, unterhielt die Gemeinde Räume im Neuen Schloss, unter anderem die örtliche Schule. Schrades damaliges Erscheinungsbild machte es nicht besser: Mit Borsalino-Hut und Jesuitenkutte ähnelte er einer zwielichtigen Thomas-Mann-Figur.
»Dann habe ich zu meiner Frau gesagt: Das nehmen wir!«
Schrade lässt sich nicht beirren. Er hängt seinen Banker-Beruf an den Nagel, macht eine Zweig-Galerie in Lindau auf, die er 1998 gegen eine in Karlsruhe eintauscht. Und irgendwann auf einer Fahrt im Januar 1985 stößt er auf das Schloss Mochental. Sieht es in der kristallklaren Winterluft glänzen. Und sagt zu seiner Frau: »Das nehmen wir!« Noch am selben Abend führt er die ersten Telefongespräche.
Zu diesem Zeitpunkt steht das Ensemble zehn Jahre leer. 1816 stirbt hier der letzte Abt des Klosters Zwiefalten, das sich mittlerweile das Königreich Württemberg einverleibt hat. Das Schloss dient als Forstamt, unter den Nazis als Unterkunft für den Arbeitsdienst, unter der französischen Besatzung als Verwaltungssitz. Später wird es Internat, eine Zweigstelle der Schelklinger Urspring-Schule. Internat und Forstamt ziehen 1975 aus.
Und Schrade zieht 1985 ein. Lässt in einer Tour de Force den Komplex renovieren. Zwischenwände fliegen raus. Spanplatten, mit denen man die Wände der Klassenzimmer verkleidet hatte, kommen runter – darunter ist der ursprüngliche Kalkputz mangels Belüftung zerbröselt. Der Putz wird ersetzt, die Böden werden renoviert, neue Wasserleitungen eingezogen. Vierzig Ölöfen fliegen raus, werden durch Holzöfen ersetzt, heute sind auch vier Pellet-Öfen in Betrieb. Bereits im Juni 1985 öffnet die erste Ausstellung.
»Eimerweise haben wir den Sand hochgeschleppt wie die Ameisen«
Noch heute verschlingen die Öfen Unmengen an Holz – und Geld. Selbst wenn die Kapelle und der Hubertussaal aus Denkmalschutzgründen im Winter kaum beheizt werden dürfen. All das muss wieder reinkommen, die Galerie ist Privatbetrieb, hängt nicht am Steuertropf. Schrade war klar: Er muss den Leuten einen Grund geben, hierherzufahren. "Es braucht Qualität, und es braucht Kontinuität." Noch im ersten Jahr holt er Günther Uecker, Star der Zero-Kunstbewegung, der in Mochental eine große Bodeninstallation aus Sand anlegt. »Eimerweise haben wir den Sand hochgeschleppt wie die Ameisen«, erinnert sich Schrade.
Und die Leute kommen. Erst recht, als er Salvador Dalí ausstellt, Pablo Picasso, HAP Grieshaber. Er ist froh, dass die Leute heute auch ohne solche Superstars kommen. Sondern für Künstler, die Schrade für nicht weniger wichtig hält: ein Matthias Mansen, ein Otto-Herbert Hajek, ein Erich Heckel, ein Christopher Lehmpfuhl, den Schrade beansprucht mit entdeckt zu haben. Oder ein Stefan Rohrer mit seinen surreal verbogenen Automobil-Plastiken.
»Für mich ist das kein anonymes Geschäft, sondern sehr persönlich«
Die Menschen kommen noch immer. Schrade erklärt es so: »Wenn Sie Schloss Lichtenstein einmal gesehen haben, dann haben Sie es gesehen. Schloss Mochental können Sie alle paar Monate völlig anders erleben.« Das hinzukriegen, sei auch anstrengend. »Das Aufbauen einer Ausstellung ist toll, das Abbauen grauslich.« Die Lage jenseits von irgendwo sieht er als Vorteil: Während in Karlsruhe vor allem die Karlsruher kämen und in Lindau die Lindauer, habe Mochental Besucher aus weitem Umkreis.
Die Arbeit hier will er nicht missen. »Es ist ein Reichtum, was für Menschen ich kennengelernt habe, einen Georg Meistermann, einen HAP Grieshaber und viele andere.« Gerade mit den Künstlern sei er sehr eng. »Das ist kein anonymes Geschäft, bei mir geht das persönlich.«
»Ich wüsste ja gar nicht, was ich sonst machen soll«
Ganz persönlich hat er 2003 auch die Art Karlsruhe auf den Weg gebracht. 2023 ist er dort als Chef ausgestiegen. Jetzt müssen es andere machen. Eine kleinere Galerie in Karlsruhe hat er behalten, mit der er auch auf der Messe präsent ist; ansonsten hat er jetzt wieder mehr Zeit für Mochental. Ein Ort, der ihn noch heute fasziniert. »Die Leute sind fassungslos, dass es sowas gibt«, erzählt er. Auch er selbst findet es nach wie vor fast irreal, wenn er von Mundingen her nach Mochental fährt und das Schloss in der Landschaft liegen sieht.
Und so wird er wohl Kunstvermittler aus Leidenschaft bleiben. Kunst zum Anfassen zu machen, Menschen mit seiner Begeisterung für die Kunst anzustecken, das sieht er als seine Mission. Ruhestand? Kein Thema. »Ich wüsste gar nicht, was ich dann machen sollte. Das ist ja nicht mein Job, sondern mein Leben.« (GEA)



