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Kunstgemeinschaft in Reutlingen wird 70 Jahre alt: Ein Kind der Nachkriegszeit

Die Gedok Reutlingen wird 70 Jahre alt. Gefeiert werden soll im März in der Stadthalle und im Kunstverein

Die Vorsitzende Barbara Krämer (links) und Dr. Kathrin Fastnacht (das Bild zeigt sie im Heimatmuseum) bereiten eine Festschrift
Die Vorsitzende Barbara Krämer (links) und Dr. Kathrin Fastnacht (das Bild zeigt sie im Heimatmuseum) bereiten eine Festschrift zu 70 Jahren Gedok Reutlingen vor. In dem aufgeschlagenen Buch ist »Gründungsmutter« Leni Matthaei zu sehen. FOTO: STRÖHLE
Die Vorsitzende Barbara Krämer (links) und Dr. Kathrin Fastnacht (das Bild zeigt sie im Heimatmuseum) bereiten eine Festschrift zu 70 Jahren Gedok Reutlingen vor. In dem aufgeschlagenen Buch ist »Gründungsmutter« Leni Matthaei zu sehen. FOTO: STRÖHLE

REUTLINGEN. Impulse kamen – indirekt – aus Hannover und Stuttgart: Dass die Künstlerinnen- und Kunstfördernden-Gemeinschaft Gedok Reutlingen 2021 ihr 70-jähriges Bestehen feiern kann, verdankt sie nicht zuletzt der 1873 in Stade geborenen Leni Matthaei, die, ausgebombt in Hannover, in den letzten Kriegsjahren nach Reutlingen gekommen war, und Elle Hoffmann, die den Vorsitz der Gedok Stuttgart innehatte. Sie unterstützte die Gründung einer Ortsgruppe in Reutlingen und gab wohl auch die Anregung dazu.

Leni Matthaei, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Klöppelkunst neue Impulse gegeben und bei den Weltausstellungen in Gent (1913) und Barcelona (1929) Gold- und Silbermedaillen gewonnen hatte, verfügte bereits aus ihrer Zeit in Hannover über Gedok-Erfahrungen. Da sie sich mit 77 Jahren zu alt für das Amt der ersten Vorsitzenden fühlte, übernahm die 1909 in Hannover geborene, ebenfalls nach Reutlingen gekommene Lisa Krieser diese Aufgabe bei der als Kind der Nachkriegszeit aus der Taufe gehobenen Reutlinger Gedok-Ortsgruppe. Die sich genau genommen schon Mitte Dezember 1950 formierte, was im Hotel Harmonie mit einem musikalischen und rezitatorischen Programm als Kostprobe besiegelt wurde. Im April 1951 war dann auch ein Vorstand gewählt und erste Veranstaltungen begannen.

Auch Tübingerinnen dabei

In ihrem Aufnahmeformular von 1951 gab Krieser als Beruf Hausfrau und in Klammern dahinter staatlich diplomierte Gesangspädagogin und Konzertsängerin an. Das spätere Ehrenmitglied war 31 Jahre lang Vorsitzende der Reutlinger Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfreunde, die heute 75 Mitglieder zählt: fünf fördernde und 70 in verschiedenen Sparten tätige Künstlerinnen.

Dieses Verhältnis war anfangs ganz anders. Einer kleineren Gruppe Künstlerinnen stand eine große Gruppe von Kunstfreundinnen und Kunstfreunden gegenüber, wie Barbara Krämer, Kunsthistorikerin und heutige erste Vorsitzende der Gedok Reutlingen, und die Historikerin Dr. Kathrin Fastnacht erklären. Sie haben sich in die lückenhaft dokumentierte Geschichte der Ortsgruppe vertieft und arbeiten gemeinsam an einer Festschrift, die im Frühjahr herauskommen soll. Am 6. und 7. März soll das 70-jährige Bestehen der Ortsgruppe im kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle und in der Galerie des Reutlinger Kunstvereins mit einem Konzert und einer großen Ausstellung gefeiert werden.

Lückenhaft ist die Chronik deshalb, weil offenbar beim Umzug einer Schriftführerin ins Altersheim vieles, was archiviert war, weggeworfen wurde. Das betraf die ersten drei Jahrzehnte der Ortsgruppe. Einiges, so Krämer und Fastnacht, könne aus einer dünnen Überlieferung im Stadtarchiv und einem Privatarchiv mit dem Nachlass von Leni Matthaei rekonstruiert werden. Über die öffentlichen Veranstaltungen hätten zudem die Zeitungen berichtet.

Eine »beschwingte Stunde« etwa, in der die damals bestehende Fachgruppe Tanz und Gymnastik im oberen Saal der Bundeshalle Inhalte aus dem Gymnastikunterricht mit Schülerinnen, Musik und Tanz darbot, ist für das erste Jahr überliefert. Es folgten Ausstellungen im Werkhaus Hugo Rummel. Der Inhaber einer Kunsthandlung scheint zu den frühen Förderern der Gedok Reutlingen gezählt zu haben. Von Anfang an waren auch Tübingerinnen in der Gemeinschaft dabei. Heute reicht das Einzugsgebiet fast bis zum Bodensee.

In Feierstunden wurde in den Anfangsjahren an Künstlerinnen wie die Autorin Gertrud Bäumer oder die Malerin Paula Modersohn-Becker erinnert. Auch hiesige Künstlerinnen wurden – oft aus Anlass von runden Geburtstagen – vorgestellt. Bei einem immer breiter werdenden Vortragsprogramm kooperierte die Gedok mit der Volkshochschule. Im Sinne einer Vernetzung wurden dazu auch Mitglieder anderer Gedok-Ortsgruppen eingeladen. Die Vorsitzende der Gedok Bonn etwa erzählte von ihrer Indienreise zu einer Gedok-Ausstellung in Bombay (heute Mumbai).

Mit Kammermusik, Lieder- und Klavierabenden machte die Fachgruppe Musik auf sich aufmerksam. Auch hier wurde mit anderen Ortsgruppen zusammengearbeitet. Orte für solche Veranstaltungen waren der Saal im Heimatmuseum, der Musiksaal der Beger-Schule, das Volksbildungshaus, das Alber-Haus oder auch das Parkhotel.

Die Fülle und Breite der Veranstaltungen, die es bereits früh in der Reutlinger Gedok gab, habe sie überrascht, sagt Barbara Krämer. Rund zwei Dutzend Termine waren es pro Jahr. »Die Frequenz ist heute nicht mehr so hoch«, stellt Kathrin Fastnacht fest. Die Gedok von damals habe eben auch, stärker als heute, den Charakter eines sozialen Netzwerks gehabt. Gut besuchte monatliche Tee-Nachmittage sind ab 1953 belegt. Für Exkursionen, teilweise auch ins benachbarte Ausland, kooperierte die Gedok mit dem Kunst- und Altertumsverein.

Käthe Kruse stellte aus

An von der Gedok veranstalteten Verkaufsausstellungen nahmen Mitte der 50er-Jahre beispielsweise auch die Bauhaus-Künstlerin Ida Kerkovius und die Puppenmacherin Käthe Kruse teil. Die Kunsthandlung Rummel und in der Folge das Heimatmuseum boten den Rahmen dafür. 4 000 Besucherinnen und Besucher binnen weniger Tage zählte 1958 eine von Oskar Kalbfell eröffnete große Ausstellung im Spendhaus. Ein Jahr später stellte der Oberbürgermeister in einer Rede fest, dass die Gedok »innerhalb unserer Stadt ein fester Bestandteil inmitten allen künstlerischen Wirkens geworden ist«.

Bis heute geblieben ist der Termin für die Jahresausstellungen im November. Auch findet im Jahresverlauf meist eine weitere Ausstellung statt. Allerdings an wechselnden Orten, da die Gedok Reutlingen im Gegensatz zu anderen Ortsgruppen keine eigene Galerie hat. »Andere können da mehr verwirklichen«, sagt Krämer. Und überwiegend gibt es übers Jahr verteilt drei Konzerte.

Geradezu revolutionär nennt die Vorsitzende mit Blick auf die Gründungsjahre und heute den interdisziplinären Ansatz: Dass die Gedok Reutlingen ein Begegnungs- und Kommunikationszentrum für Künstlerinnen der Bildenden und Angewandten Kunst und für Musikerinnen und Literatinnen ist. Und eben auch für Kunst fördernde Mitglieder. Eine Besonderheit ist, dass Künstlerinnen, die aufgenommen werden wollen, Arbeitsproben vorlegen müssen, die von einer Jury geprüft werden. »Denn«, so Krämer, »die Qualität muss stimmen.« Schließlich sehe sich die Gedok auch ein Stück weit als Berufsverband. (GEA)

70-JAHR-FEIER MIT KONZERT UND GROSSER AUSSTELLUNG

Auf der Homepage der Gedok Reutlingen sind alle aktuellen Mitglieder aus den Fachgruppen Angewandte und Bildende Kunst sowie Musik und Literatur aufgeführt. Das 70-jährige Bestehen der Gemeinschaft soll im Frühjahr gefeiert werden: am 6. März um 19 Uhr mit einem Jubiläumskonzert und einer Uraufführung im kleinen Saal der Reutlinger Stadthalle; am 7. März um 11 Uhr mit der Eröffnung der Schau »Herstory – Wie wir wurden, was wir sind« im Kunstverein Reutlingen. Angekündigt ist die Präsentation als Jubiläumsausstellung aller Künstlerinnen der Gedok Reutlingen mit einem Gastbeitrag der Gedok Karlsruhe. Bis zum 18. April soll die Ausstellung zu sehen sein. (GEA)

www.gedok-reut-lingen.de