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Aktuell Ausstellung

»Kunst Reutlingen«: Über 70 Werke aus dem Kreis in den Wandel-Hallen

Die zweijährliche Leistungsschau der regionalen Kunstszene öffnet unter dem Titel »Kunst Reutlingen« ihre Pforten im Kunstverein und der Kunstmuseums-Galerie in den Wandel-Hallen. Die Spanne reicht vom Lavendelboot bis zum Patchwork-Clown.

Kunstvereinsleiterin Julia Berghoff (links) erläutert eine Bodenarbeit von Susanne Dohm-Sauter mit Kreisen aus Altplastik.
Kunstvereinsleiterin Julia Berghoff (links) erläutert eine Bodenarbeit von Susanne Dohm-Sauter mit Kreisen aus Altplastik. Foto: Armin Knauer
Kunstvereinsleiterin Julia Berghoff (links) erläutert eine Bodenarbeit von Susanne Dohm-Sauter mit Kreisen aus Altplastik.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Ein Boot gleitet übers Lavendelbett, ein rosa Ufo hebt ab, eine apokalyptische Reiterin schaut beim Würfelspiel zu und auf dem Boden breitet sich die Weihnachtsbäckerei aus. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt bei der Schau »Kunst Reutlingen« zu der Kunstverein und Kunstmuseum Reutlingen geladen haben. 56 Künstlerinnen und Künstler von der Studentin bis zum Altmeister zeigen von 19. Oktober bis zum 6. Januar ihre Arbeiten auf zwei Etagen der Wandel-Hallen.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »Kunst Reutlingen« ist von 19. Oktober bis 6. Januar im Kunstverein Reutlingen und im Kunstmuseum Reutlingen/Galerie in den Wandel-Hallen, Eberhardstraße 14, zu sehen. Vernissage ist diesen Freitag, 18. Oktober, um 18 Uhr, Beginn im Kunstverein (1. OG). Geöffnet ist an beiden Schauplätzen Mittwoch bis Freitag 14 bis 18 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertag 11 bis 17 Uhr. Heiligabend und Silvester ist geschlossen. Der Eintritt ist frei. (GEA)

140 Kunstschaffende mit Wohnsitz oder Werkstatt im Landkreis hatten sich beworben, 71 Werke hat die Jury ausgewählt. Zu dieser gehörten neben Kunstvereinsleiterin Julia Berghoff und dem stellvertretenden Leiter des Kunstmuseums Johannes Kraus-Schenk noch die drei auswärtigen Experten Petra Aescht (Nürnberg), Heiderose Langer (Reichenbach/Fils) und Anja Rumig (Stuttgart). Und weil die Schau über Weihnachten läuft, gibt's die frohe Botschaft gleich dazu: Der Eintritt ist frei!

Erstmals digitale Einreichung

Neu ist, dass die Bewerbungen diesmal digital eingereicht werden konnten. Das hat nicht nur für mehr Barrierefreiheit gesorgt, sondern auch dafür, dass sich die Sache unter Studierenden stärker herumgesprochen hat. Rund 15 Neulinge sind dabei, teils von den Kunstakademien in Stuttgart und Karlsruhe, teils vom Reutlinger Texoversum. Kunst aus Textil spielt daher eine unverkennbare Rolle.

Nicht wenig Kunst aus Textil: Hier ein Nähbild von Amelie Wehrstein.
Nicht wenig Kunst aus Textil: Hier ein Nähbild von Amelie Wehrstein. Foto: Armin Knauer
Nicht wenig Kunst aus Textil: Hier ein Nähbild von Amelie Wehrstein.
Foto: Armin Knauer

Die Werke selbst sind hingegen fast durchweg analog. Keine Filmarbeiten, keine Videos, keine Klanginstallation - von den Genres her gibt sich die Kunstszene des Landkreises klassisch. Doch innerhalb dieses Rahmens ziemlich originell.

Reiterin von Friederike Just im Kunstverein Reutlingen.
Reiterin von Friederike Just im Kunstverein Reutlingen. Foto: Armin Knauer
Reiterin von Friederike Just im Kunstverein Reutlingen.
Foto: Armin Knauer

Kunstvereinsleiterin Berghoff und Kunstmuseumsvize Krause-Schenk haben das auf ihren Etagen in eine stimmige Anordnung gebracht. Mit tollen Sichtachsen und hintersinnigen Dialogen zwischen den Werken. Siehe etwa die (armlose) apokalyptische Reiterin von Friederike Just, deren Blick auf einen Tisch fällt, auf dem Ute Diez ein Würfelspiel vorbereitet hat. Der Besucher darf würfeln - die Würfel zeigen Zeilen aus einem Gedicht von Mascha Kaléko zur Rolle der Frau in der Kultur.

Warnende Zinnsoldaten

Hintersinnige Kommentare zum Zeitgeschehen findet man allenthalben. Wolfgang Fritz lässt in seiner Fotografie neben Puppe und Teddybär ein Bataillon Zinnsoldaten auflaufen, Warnung vor der Militarisierung der Zeit. Susanne Dohm-Sauter formt auf dem Boden Ritualkreise aus Altplastik, als wolle sie den fahrlässigen Umgang mit Konsumartikeln bannen. Auf die Ringe blickt eine Riesenmalerei von Jan Démoulin, die sich ihrerseits mit der Wohlstandsgesellschaft auseinandersetzt.

Weihnachtsbäckerei aus Keramik: Bodeninstallation von Nora Beck.
Weihnachtsbäckerei aus Keramik: Bodeninstallation von Nora Beck. Foto: Armin Knauer
Weihnachtsbäckerei aus Keramik: Bodeninstallation von Nora Beck.
Foto: Armin Knauer

Über manche Arbeiten stolpert man förmlich: über die Plätzchenback-Szenerie samt Ausstecherle von Nora Beck etwa (Nicht reinbeißen, die Kekse sind aus Keramik!), über die Backsteine von Leonie Lass. Nicht zu übersehen hingegen Yvonne Kendalls »Nudelpresse«, deren Textilspaghetti von der Decke bis zum Boden strömen und dabei die Sitzflächen von zwei Hockern durchschlagen. Oder die raumgreifende Installation aus folienumwickelten Stahlrohrgestängen von Jenny Winter-Stojanovic.

Poetischer Naturbezug

Viele Arbeiten thematisieren Natur, teils auf wunderbar poetische Weise. Etwa wenn Beate Leinmüller ein stilisiertes weißes Holzboot auf einem Grund aus getrocknetem Lavendel »dahingleiten« lässt. Was auch noch herrlichen Duft verbreitet. Oder wenn Eva Doelker-Heim eine abstrahierte »Schneeschmelze« nun in der Tat mit Erde und Schnee malt. Gleich daneben eine Winterlandschaft von Izumi Yanagiya, Nadelbäume vor Berglandschaft von Dietrich Ebert - beides Verbeugungen vor der großen Tradition der Naturdarstellung in der fernöstlichen Kunst.

Bootsform auf dem Lavendelbett: Beate Leinmüllers Installation »Ins Offene« hat auch eine olfaktorische Note.
Bootsform auf dem Lavendelbett: Beate Leinmüllers Installation »Ins Offene« hat auch eine olfaktorische Note. Foto: Armin Knauer
Bootsform auf dem Lavendelbett: Beate Leinmüllers Installation »Ins Offene« hat auch eine olfaktorische Note.
Foto: Armin Knauer

Dank mehrerer Studierender vom Reutlinger Texoversum taucht immer wieder Textiles auf. Janina Röhrich näht einen traurigen Patchwork-Clown, Katerina Nakou zaubert eine filigrane Ornamente an die Wand. Neben den Newcomern haben es auch viele etablierte Kräfte in die Auswahl geschafft. Susanne Immer mit ihren beweglichen Alubändern. Wolf Nkole Helzle mit seiner Überlagerung Tausender Gesichter zu einem Menschheitsgesicht - das hoffnungsfroh lächelt. Trotz der krisengeplagten Weltlage herrscht kein düsterer Ton vor. Mancher gesellschaftliche Bezug taucht auf - doch immer wieder darf es auch der unbeschwerte Moment sein wie in Pauli Schlipfs lebensfroh-gestischer Malerei »Quatsch im Garten«. (GEA)

Malerei von Pauli Schlipf mit dem Titel »Quatsch im Garten«.
Malerei von Pauli Schlipf mit dem Titel »Quatsch im Garten«. Foto: Armin Knauer
Malerei von Pauli Schlipf mit dem Titel »Quatsch im Garten«.
Foto: Armin Knauer