REUTLINGEN. Wer den Marktplatz überquert, weiß meist nicht, dass er oder sie ein Kunstwerk mit Füßen tritt: Im Kopfsteinpflaster ist der Grundriss des Reutlinger Renaissance-Rathauses abgebildet. Solche »Kunst im öffentlichen Raum« bleibt im Alltag oft unbemerkt. Das möchte das Kunstmuseum Reutlingen mit dem Projekt »Stadt.Raum.Kunst!« ändern.
»Was bedeutet eigentlich Kunst im öffentlichen Raum für euch?« Darüber möchte Kerstin Rilling und ihr Team mit Menschen ins Gespräch kommen. Dazu organisieren sie nicht nur Veranstaltungen wie Rundgänge oder Kunst-Picknicks, sondern entwickeln auch einen Papierblock, mit dem man selbstständig die Kunstwerke der Stadt entdecken kann.
STADT.RAUM.KUNST!
Veranstaltungen im Juni und Juli
Im ganzen Juni: (Termine nach Vereinbarung) Anzetteln! Gesprächsformat zu Kunst im öffentlichen Raum 26. Juni: Künstlerbrunnen in der Innenstadt, 11 bis 12 Uhr, ohne Anmeldung
1. Juli: Die fahrbare Druckerei trifft: BAFF/Kaffeehäusle, Anmeldung über BAFF (07121 2038080), 15.30 bis 17.30 Uhr 3. Juli: Spuren der Landesgartenschau, 11.30 bis 12.30 Uhr, ohne Anmeldung
4. Juli: HAP Grieshabers Sturmbock, 14 bis 16 Uhr, ohne Anmeldung
14. Juli: Schreibwerkstatt zu Kunstwerken im öffentlichen Raum, 15 bis 18 Uhr
15. Juli: Kunstpicknick und Zeichenkurs, 17 bis 19 Uhr
16. Juli: Die fahrbare Druckerei trifft: Das Vogelauge von Gudrun Krüger, 11 bi 13 Uhr, ohne Anmeldung
30. Juli: Grieshaber Spaziergang, 10 Euro, 10 - 17 Uhr Treffpunkt ist für alle Veranstaltungen, wenn nicht anders gekennzeichnet, das Spendhaus. Für Schulen und Kindergärten gibt es eigene Veranstaltungen. Zu allen Veranstaltungen, wenn nicht anders vermerkt, Anmeldung bei Kerstin Rilling.
07121 3035716
Allerdings soll es nicht nur beim Betrachten bleiben: Auf dem Block gibt es zu jedem Ort eine Aktion. So kann man zum Beispiel das Stadtzeichen von Otto Herbert Hajek auf Papier farblich neu gestalten oder sich mit »silly walks« (albernen Gangarten) in der Katharinenstraße ausprobieren.
Ferienprogramm mit Workshops
Rilling ist Leiterin der Kunstvermittlung im Kunstmuseum, und so hat das Projekt auch einen Schwerpunkt auf Veranstaltungen für kleine Künstler. Es gibt nicht nur den Block für unterschiedliche Altersstufen, sondern auch ein Ferienprogramm namens »Sun & Action«, mit verschiedenen Kreativworkshops. Und auch in der Reihe »Die fahrbare Druckerei trifft« gibt es eine Kinderausgabe. Dabei wird allerdings nicht die Druckerpresse von HAP Grieshaber, die im Kunstmuseum steht, in die Stadt gekarrt, sondern mit kleineren Apparaten open-air gearbeitet.
Außerhalb des Projektes gibt es für Kinder das ganze Jahr über die Möglichkeit, in Workshops kreativ zu werden. Manchmal kommen zu den Workshops Kinder, die sich nicht als künstlerisch begabt ansehen. Gerade beim Drucken, haben dann aber manche ein Erfolgserlebnis. »Das finde ich extrem spannend«, sagt Franziska Boll. Sie ist Kunsthistorikerin und zusammen mit Rilling, der Künstlerin Barbara Wünsche-Kehle und der Künstlerin Elodie Cruz Laufer Teil des Projektteams von »Stadt.Raum. Kunst!«. Wünsche-Kehle erzählt, dass auch sie als Erwachsene manchmal staunt, wenn Kinder über Kunst reden. Da habe sie schon gedacht: »So hätte ich das nicht formulieren können!«
Museum ohne Grenzen
Bei ihrer Arbeit möchte Rilling im Gespräch bleiben. »Wir begleiten die Kinder, aber wir schreiben nichts vor.« Sie möchte ihnen zeigen, dass Kunst ein tolles Medium ist, um über sich selbst und die Gesellschaft nachzudenken. Boll hofft außerdem, dass durch ihre Arbeit die Kunst etwas von ihrem elitären Image verliert. Museen seien öffentliche Orte, trotzdem gebe es »Schwellenängste«.
Mit dem »Baumhaus« hat das Kunstmuseum allerdings ein sehr niedrigschwelliges Angebot geschaffen. Die obere Etage des Spendhauses ist während der Öffnungszeiten einfach kostenlos zugänglich. Während die Eltern einen Kaffee trinken, können sich die Kinder zum Beispiel in die Selfie-Ecke verkrümeln und im Papierbereich werkeln.
Die Idee für das Projekt »Stadt.Raum. Kunst!« entstand während der Coronazeit, als Museumsbesuche und Gruppenführungen schwierig waren. Da habe sie gemerkt, dass Kunst im öffentlichen Raum ein interessantes Thema ist, erzählt Rilling.
Kein Vergleich zu anderen Städten
»Wir haben in Reutlingen im Vergleich zu anderen Städten zwar weniger Kunst im öffentlichen Raum – aber doch viel mehr, als man im Alltag wahrnimmt!«, sagt Ina Dinter, Leiterin des Kunstmuseums. »Wir wollen diesen Sommer verschiedene Formate ausprobieren und gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern überlegen, welche Outdoor-Aktivitäten wir dauerhaft in unser Programm aufnehmen.«
Das Museum hat für das Projekt Gelder beantragt und nun auch bekommen: 9.000 Euro vom Land Baden-Württemberg im Rahmen der Corona-Sonderförderung. Zusammen mit ihren Teamkolleginnen recherchierte Rilling, was Reutlingen in dieser Hinsicht zu bieten hat: An die 100 Kunstwerke haben sie ausgekundschaftet, vom Graffiti bis zum List-Denkmal. Dabei stellte das Team fest, dass viele der Kunstwerke in schlechtem Zustand sind. Allerdings mussten sie sich erst einmal fragen: Was zählt überhaupt zur Kunst im öffentlichen Raum? Sie einigten sich schließlich darauf, keine klaren Grenzen zu setzen. (GEA)