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Aktuell Festival

Kultur-vom-Rande-Finale mit Shakespeare, Chor und Tanz in Reutlingen

Am Schlusswochenende des inklusiven Festivals Kultur vom Rande ging's noch mal rund in Reutlingen. Geboten waren Shakespeare-Schurken, Chorgesang, Lesungen und Tanzperformances – und ganz viel Emotion.

Magische Bilder aus Körpern: Die Compagnie DK-BEL aus Frankreich in ihrer Tanzperformance »C'est BEAU!«
Magische Bilder aus Körpern: Die Compagnie DK-BEL aus Frankreich in ihrer Tanzperformance »C'est BEAU!« Foto: Armin Knauer
Magische Bilder aus Körpern: Die Compagnie DK-BEL aus Frankreich in ihrer Tanzperformance »C'est BEAU!«
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Ein wahres Feuerwerk der Kreativität brannte das Festival Kultur vom Rande an seinem Schlusswochenende ab. Mit Lesungen von Raúl Krauthausen und Adina Hermann, mit Gesang vom Beschwerdechor, mit einer Bilder-Performance im Kunstmuseum/Spendhaus und mit zauberhaftem Tanztheater aus Frankreich. Eingeläutet hatte das Wochenende am Freitag eine aufwühlende Auferstehung düsterer Shakespeare-Helden.

Tanztheater aus Frankreich

Die finale Abendshow entpuppt sich als einzigartiges Ereignis am Samstag im franz.K. Die beiden Ensembles Sixième Sens und DK-BEL zaubern mit und ohne Rollstuhl mitreißende Körperbilder auf die Bühne. Rollstuhlfahrer verlassen ihre Gefährte, werden verflochten ins Körperspiel der übrigen Tänzer. Frauen in fließenden Kleidern packen explosive weibliche Kraft aus. Zwei bärenstarke Männer begegnen sich in Wucht und Zärtlichkeit. Stammesrituale werden gestampft, Verzweiflung wird hinausgeschrien, Insektenmasken verkörpern die Angst vor dem Fremden.

»C'est BEAU!« – »Das ist schön!« – heißt das Stück, das für das Kulturprogramm der Olympischen Spiele 2024 in Paris konzipiert wurde und hier zum letzten Mal gezeigt wird. Schönheit umfasst hier das Erblühen von Körpern genauso wie Schmerz, Wut, Einsamkeit und tröstende Gemeinschaft. Im randvollen franz.K-Saal wird gestaunt, gelacht, geweint, gejubelt. Ein Besucher, selbst im Rollstuhl, begleitet die Vorführung mit vogelgezwitscherartigen Begeisterungspfiffen. In der Fragerunde am Ende ruft einer der Tänzer ins Publikum: »Where is the bird?« – »Wo ist der Vogel?« Als der Zwitscherer sich zu erkennen gibt, ruft er ihm zu: »I loved it!« – »Ich fand es toll!«

Bildertanz aus Belgien

Im Spendhaus sorgt eine Gruppe aus Belgien mit ihrer Performance »Kabinet K« für ein Museumserlebnis der anderen Art. Die Bilder kommen von den Wänden, umschwirren die Besucher, getragen von den Tänzern der Compagnie Crip Academy. Zu der gehört eine Achtjährige genauso wie eine Gruppe von Teenagerinnen bis hin zu erwachsenen Profis. Grenzen von Generationen werden überbrückt – die zwischen Publikum und Akteuren auch.

Bilder von Schmerz und Liebe in und außerhalb des Rollstuhls: Die Compagnie DK-BEL beim Auftritt im franz.K.
Bilder von Schmerz und Liebe in und außerhalb des Rollstuhls: Die Compagnie DK-BEL beim Auftritt im franz.K. Foto: Armin Knauer
Bilder von Schmerz und Liebe in und außerhalb des Rollstuhls: Die Compagnie DK-BEL beim Auftritt im franz.K.
Foto: Armin Knauer

Ein E-Gitarrist lässt Klänge in den Raum perlen, Bilder werden durch den Raum getragen, die Tänzer berühren sich, bilden Knäuel, rennen durch den Saal. Sie lassen die Besucher zeichnen, halten ihnen dabei die Augen zu und führen ihnen die Hand. Die entstehenden Bilder wandern durch den Raum, werden auf dem Kopf balanciert, am Ende werden die Besucher im Wortsinne abgeholt. Eine poetische Begegnung mit Kunst.

Chorprotest aus Heidelberg

Gleich mehrfach macht am Samstag der Heidelberger Beschwerdechor die Fußgängerzone unsicher. Um 15 Uhr hat sich schnell eine Zuhörerschar gefunden an der Citykirche. Das inklusive Ensemble steckt in bunten Zirkusuniformen – kürzlich hat man in einem Mannheimer Zirkuszelt ein komplettes Programm gestemmt, samt Clowns und Löwenbändiger.

Szene aus der Performance »Kabinet K« des Ensembles The Crip Academy aus Belgien im Spendhaus.
Szene aus der Performance »Kabinet K« des Ensembles The Crip Academy aus Belgien im Spendhaus. Foto: Armin Knauer
Szene aus der Performance »Kabinet K« des Ensembles The Crip Academy aus Belgien im Spendhaus.
Foto: Armin Knauer

Der Löwe, aus Plüsch, ist in Reutlingen das Maskottchen. Kultur-vom-Rande-Mitgründerin Rosemarie Henes wird vom Chorleiter Bernhard Bentgens sofort in die Blockflötengruppe integriert. Los geht's mit treibendem Rock 'n' Roll. Spezialität sind Songs, mit denen man gegen die Benachteiligung Behinderter aufbegehrt. »Alles, was wir wollen, ist ungehindert rollen!«, skandieren die Sänger. Und zur Melodie des Tom-Jones-Krachers »Sexbomb«: »Ein Klo, ein Klo, wo ist ein Klo? Sag mir schnell ein Rollstuhlklo, ich brauch es so!« Alltägliche Nöte, humorvoll aufgespießt – hoffentlich werden die Beschwerden erhört.

Der Heidelberger Beschwerdechor moniert zu bekannten Popmelodien die Benachteiligung Behinderter.
Der Heidelberger Beschwerdechor moniert zu bekannten Popmelodien die Benachteiligung Behinderter. Foto: Armin Knauer
Der Heidelberger Beschwerdechor moniert zu bekannten Popmelodien die Benachteiligung Behinderter.
Foto: Armin Knauer

Mit Rollstuhl ins Weltall

In der Stadtbibliothek lesen Raúl Krauthausen und Adina Hermann aus ihrem Kinderbuch »Als Ela das All eroberte«. Darin geht es um die junge Ela, die Astronautin werden will, obwohl sie im Rollstuhl sitzt. Viele halten das für verrückt, aber ihr Freund Ben hält zu ihr. Die Autoren – beide ebenfalls im Rollstuhl – berichten, sie hätten für das Buch extra eine Astronautin befragt, ob es denkbar sei, als Rollstuhlfahrer ins All zu fliegen. Ja, das sei möglich, die Astronauten müssten wegen ihrer Raumanzüge ohnehin in ihre Sitze in der Rakete getragen werden. Oft beziehen die Autoren die Kinder im Publikum mit ein.

Zwei Autoren im Rollstuhl lesen aus ihrem Kinderbuch über eine angehende Astronautin im Rollstuhl: Raúl Krauthausen und Adina He
Zwei Autoren im Rollstuhl lesen aus ihrem Kinderbuch über eine angehende Astronautin im Rollstuhl: Raúl Krauthausen und Adina Hermann in der Stadtbibliothek. Foto: Armin Knauer
Zwei Autoren im Rollstuhl lesen aus ihrem Kinderbuch über eine angehende Astronautin im Rollstuhl: Raúl Krauthausen und Adina Hermann in der Stadtbibliothek.
Foto: Armin Knauer

Als im Buch ein Roboter vorkommt, fragt Krauthausen: »Hat jemand von euch auch einen daheim?« »Ja, einen Putzroboter«, ruft ein Junge, »er heißt Robbi Putzteufel.« Ein anderer Junge will wissen, was sich im Inneren eines Schwarzen Lochs befindet. Ein Mädchen fragt, warum so wenig Frauen ins All fliegen. Da sehen Krauthausen und Hermann Nachholbedarf. Ihre Botschaft: Seine Träume nicht aufgeben, selbst wenn viel dagegen spricht. Eine russische Astronauten-Anwärterin sei erst aussortiert worden, weil sie zu klein war – »später wurde die Regel geändert und sie durfte doch ins All fliegen«.

Shakespeare im Viererpack

Bereits am Freitag holt die Compagnie Création Éphémère aus Frankreich vier tote Antihelden von Shakespeare auf die Tonne-Bühne. Darsteller Théo Kermel krabbelt aus dem Grab, ist nacheinander Richard III., König Lear, Macbeth und Hamlet. Stürzt sich mit einem Text von Filip Forgeau in das Leiden und Irren dieser Figuren. Richard III. ist voller Rachsucht gegen eine Mitwelt, die ihn als buckligen Syphilitiker schmäht. Lear hat sich durch eigenes Misstrauen seiner Lieblingstochter beraubt.

König Lear ist am Boden: Théo Kermel (rechts) und Vincent Perez in »Figur.S« beim Festival Kultur vom Rande.
König Lear ist am Boden: Théo Kermel (rechts) und Vincent Perez in »Figur.S« beim Festival Kultur vom Rande. Foto: Armin Knauer
König Lear ist am Boden: Théo Kermel (rechts) und Vincent Perez in »Figur.S« beim Festival Kultur vom Rande.
Foto: Armin Knauer

Macbeth ist aus Hingabe zu seiner machtgierigen Frau zum Mörder geworden. Hamlet flieht vor dem Wahnsinn der Welt in die eigene Verrücktheit. Théo Kermel, Schauspieler mit Trisomie 21, spielt sie alle aufrüttelnd und emotional, bewältigt dabei eine enorme Textmenge. Vincent Perez gibt dazu famos den clownesken Diener. Grabkreuze und Theaternebel sorgen für Grusel, düsteren Techno entlockt Victor Pol Synthie, E-Bass, Loop-Station und digitalem Schlagzeug. Eine furiose Performance über menschliche Abgründe, deren französischen Text Albrecht Braun für die Übertitelung übersetzt hat.