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Aktuell Kammermusik

Krešimir Stražanac singt Schuberts Meisterwerk in Reutlingen

Ein Winterabend beim Kammermusikzyklus in Reutlingen, die Luft von Musik durchzogen – und doch war es nicht nur die Kälte, die das Publikum ergriff in Schuberts »Winterreise«.

Bassbariton Krešimir Stražanac und Pianistin Doriana Tchakarova
Bassbariton Krešimir Stražanac und Pianistin Doriana Tchakarova Foto: Lorenz Adamer
Bassbariton Krešimir Stražanac und Pianistin Doriana Tchakarova
Foto: Lorenz Adamer

REUTLINGEN. Ein Abend mit Franz Schuberts »Winterreise« am Freitagabend beim Reutlinger Kammermusikzyklus im kleinen Saal der Stadthalle. Ein Meisterwerk, das in jeder Interpretation neu fasziniert. Beeindruckend war die Darbietung des Bassbaritons Krešimir Stražanac, der die emotionale Tiefe des einsamen Wanderers unmittelbar erlebbar machte.

Die »Winterreise« (D 911) gehört unangefochten zum kulturellen Erbe des 19. Jahrhunderts. Mit über 600 Liedern in seiner kurzen Lebenszeit zeichnet sich Schubert nicht nur durch immense Schaffenskraft aus, sondern auch durch seine außergewöhnliche Fähigkeit, Stimmungen in eine bewegende Tonsprache zu übersetzen.

Weg eines Verlassenen

Die »Winterreise« basiert auf 24 Gedichten des Romantikers Wilhelm Müller und schildert die melancholisch-düstere Wanderung eines verlassenen Liebenden durch eine winterliche Landschaft, die zum Spiegel seiner inneren Zerrissenheit wird. Der Zyklus erzählt keine lineare Geschichte, sondern gibt in Momentaufnahmen die seelische Entwicklung des Protagonisten wieder. Die Lieder wechseln zwischen Resignation, Hoffnungsschimmern und bitterer Einsicht. Symbolträchtig führt die Reise an Orte der Hoffnungslosigkeit und existenziellen Verlorenheit – vorbei an einem gefrorenen Fluss, kahlen Bäumen und dem einsamen Leiermann.

Bassbariton Krešimir Stražanac verlieh dem Zyklus eine Interpretation mit feinem, tiefgründigem Gespür und stimmlicher Tiefe. Seine technische Versiertheit und Intonationssicherheit zeigte sich bereits im ersten Lied »Gute Nacht«, das mit einem anspruchsvollen hohen Einstieg beginnt. Besonders beeindruckend war sein weiter Stimmumfang, der sowohl in der Tiefe (»Wasserflut«) als auch in den hohen Passagen (»Die Nebensonnen«) durch wohlüberlegte Wechsel zwischen Brust- und Falsettstimme glänzte.

Überzeugende Textausdeutung

Diese Registerübergänge gelangen weitgehend nahtlos, wenngleich sie etwa im Lied Nr. 9 »Irrlicht« in der Höhe etwas abrupt wirkten. Doch setzte Stražanac diese Wechsel gekonnt als Mittel ein, um die Textbedeutung hervorzuheben. Mit fein nuancierten Phrasierungen konnte er so die vielfältigen Facetten der Lieder herausarbeiten. Seine Artikulation war präzise, die Vokalklarheit ausgereift. Besonders in der Agogik überzeugte er: So setzte er gezielt Verzögerungen ein, etwa in »Auf dem Flusse«, um die Bedeutung des Textes zu verstärken.

Die Pianistin Doriana Tchakarova erwies sich als wechselhafte musikalische Begleitung, die sich im Verlauf des Abends steigerte, aber in einigen Passagen unausgewogen blieb. So wirkten charakteristische Läufe (wie in »Erstarrung«) stellenweise verschwommen, was weniger auf die Akustik des kleinen Saals als auf ihren überschwänglichen Pedaleinsatz zurückzuführen war. Stärker waren hingegen Interpretationen wie »Die Post«, in der der markante Posthornrhythmus und die Dynamik des Liedtextes präzise umgesetzt wurden. Auch in »Die Krähe« vermochte es Tchakarova, das beklemmende Stimmungsbild mitfühlend und rhythmisch überzeugend zu gestalten. Während bei »Im Dorfe« eine unausgeglichene Balance zwischen rechter und linker Hand auffiel. Das Zusammenspiel war besonders überzeugend in »Die Nebensonnen«, wo beide wunderbar zueinander fanden.

Ausklang in Hoffnung

Während der Zyklus mit dem »Leiermann« inhaltlich offen endet und das lyrische Ich in existenzieller Resignation zurücklässt, vermittelten Stražanac und Tchakarova einen anderen Eindruck. Statt an einer kalten Verzweiflung ließen sie das Publikum an einem hoffnungsvollen Nachhallen teilhaben, das den Winterabend in ein tief berührendes Erlebnis verwandelte. (GEA)