REUTLINGEN. Für volles Haus sorgte die Junge Sinfonie mit ihrem anspruchsvollen Programm am Sonntagabend in der Reutlinger Stadthalle. Zu Gast war der junge Violinsolist Erik Maier, die Leitung hatte Konrad Heinz. Schon die Zahl der Streicher war erstaunlich: Knapp 50 junge Leute mit Violine, Viola, Cello und Kontrabass füllten die Bühne und breiteten einen seidenweichen Klangteppich aus.
Es ging um ein philosophisches Stück: »The Unanswered Question« von Charles Ives, der schon 1906 neue Kompositionstechniken entwickelte. Die Trompete fragt mit einem kurzen Solo (nach der Existenz?); eine Gruppe von vier Flöten (hier: zwei Flöten, zwei Klarinetten), ebenfalls auf der Empore, reagiert mit aufgeregtem Durcheinander-Reden. Einen mysteriösen Hintergrund bildet das »Schweigen der Druiden«, sprich: die durchgehende, zart-bewegte Klangfläche der Streicher. In diesem Fall erweist sich der Hintergrund als »Hingucker«, so farbig lassen die Streicher die gedämpften Saiten flüstern, während die Trompete ihre Frage eher schüchtern stellt und ein ebenso verhaltenes Echo seitens der vier Holzbläser findet.
Virtuos an der Geige
Zum Glanzpunkt des Abends geriet der Auftritt des 19-jährigen Erik Maier, der an der Musikhochschule München studiert. Hier trat er mit Tschaikowskis Violinkonzert auf die Bühne, einem Virtuosenstück par excellence – und bewies staunenswertes Können.
Komplett auswendig lässt er seine Violine mit feinem Ton und sicherer Technik singen, vom Orchester aufmerksam begleitet. Sorgfältig ziseliert er die Figuren und steigert seine Virtuosität so effektvoll, dass das Publikum schon nach dem ersten Satz jubelt. Der poetischen »Canzonetta« geht er behutsam auf den Grund, die geigerische Akrobatik des Finales lässt Raum für Zwischentöne. Lange Ovationen belohnen den jungen Künstler, der sich mit humorvoll ausgefeilter Teufelsgeigerei (Paganinis »Carnevale di Venezia«) bedankt.
Komplexes Motivgewebe
Bei Jugendorchestern geht es auch um die eigene Auseinandersetzung mit den Werken. Die Sinfonik von Johannes Brahms zum Beispiel: Sie ist ganz anders gestrickt als etwa die von Haydn oder Beethoven, auch die nun gewählte dritte Sinfonie in F-Dur. Brahms komponiert mittels »entwickelnder Variation«, durchbricht ständig die Stimmen, verlagert sie auf andere Instrumente, synkopiert, versetzt und flicht neu.
Dies erfordert akribisches Ausbalancieren sowie Selbstständigkeit jedes Einzelnen. Für ein Jugendorchester ist das viel verlangt: Die Musizierenden meistern zwar die Noten, aber nicht all die motivischen Fäden dazwischen, die den inneren Zusammenhang stiften. In diesem Fall muss man als Zuhörer zwar Abstriche am Hörgenuss machen, den Musizierenden jedoch Anerkennung für ihren Mut zollen, Brahms‘ dritte Sinfonie aufzuführen. Lieben sie Brahms? Natürlich. Doch die Begeisterung reicht hier nicht für die detailgenau schlüssige Gestaltung; manchmal wirken die Klangstrukturen wie unter Weichzeichner; und im vierten Satz merkt man, wie die Konzentration nachlässt. Die fast vierzig Minuten Brahms sind ein Kraftakt, der Dirigent und Musikern alles abverlangt – auch ein Grund zum Jubeln. (GEA)

