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Kontrastreicher Ballettabend: »Carmen_Requiem« im Theater Ulm

Poppige Carmen versus Nachdenken über den Tod: Der Ballettabend »Carmen_Requiem« begeistert im Theater Ulm.

Im Nahkampf: Seungah Park als coole Carmen und Magnum Phillipy als Eli.
Im Nahkampf: Seungah Park als coole Carmen und Magnum Phillipy als Eli. Foto: Sylvain Guillot
Im Nahkampf: Seungah Park als coole Carmen und Magnum Phillipy als Eli.
Foto: Sylvain Guillot

ULM. Um den Tod geht es in beiden Stücken, aber man könnte das Thema kaum unterschiedlicher in Tanz formulieren: Der neue Ballettabend »Carmen_Requiem« im Ulmer Theater bestätigt die seit einem Jahr wirkende Ballettchefin Annett Göhre als einen Glücksgriff, die den Tanz immer ins Heute, nahe zu den Menschen holt. Beide Stücke sind auf ihre ganz eigene Weise stark: die poppige, ironische »Carmen« des Briten Ihsan Rustem und Göhres dunkles, tiefernstes »Requiem« zu Musik von György Ligeti und Wolfgang Amadeus Mozart.

Den Schwingungen nach ist sie irgendwo zwischen »West Side Story« und »Desperate Housewives« angesiedelt, die tragikomische »Carmen« von Ihsan Rustem, die das Ulmer Theater in deutscher Erstaufführung zeigt. Wie so viele Choreografen vor ihm verwendet er Rodion Schtschedrins 45-minütige, Schlagwerk-süchtige Ballettsuite aus den berühmtesten Motiven von Georges Bizets Oper. Rustem verlegt die Handlung in zwei moderne Friseursalons – links rüschen sich die Damen auf, rechts ist der Barbershop für die Machos. Mitten hinein platzt die mysteriöse, berechnende Carmen in schwarzem Leder und verführt offensiv die Männer. Das Eifersuchtsdrama zwischen dem schmalbrüstigen DJ alias Don José und dem Lederrocker Eli alias Escamillo bricht der Choreograf immer wieder durch Slapstick oder parodistische Elemente, eine schwarze Figur etwa mit Blaulicht auf dem Kopf oder das Popcorn-mampfende, gaffende Ensemble.

Tanz in Turnschuhen

Getanzt wird in Turnschuhen, Rustems intensiv körperliches Bewegungstheater erzählt mit Alltagsgesten, lakonisch und direkt, es erinnert darin stark an den englischen Choreografen Matthew Bourne, der mit seinen männlichen Schwänen im Klassiker »Schwanensee« weltberühmt wurde.

Das Ulmer Tanzensemble, das eben noch posierte, kicherte und mit Scheren aufeinander einstach, wird in Annett Göhres »Requiem« zu ätherischen Engelsfiguren, zu Zweiflern wie aus Dantes »Göttlicher Komödie« oder Dämonen wie von Hieronymus Bosch. In einem schattenhaften, hinten ins Weite gespiegelten Raum (Bühne: Luis Crespo Potero) zwischen Leben und Tod rollen sie wie Tote über den Boden oder irren suchend zwischen trümmerartigen Bauten. Ihre hautfarbenen, schleierhaften Kostüme (Annett Hunger) dehnen sich plötzlich ins Unendliche, werden zu Segeln und Fesseln, stellen Verbindungen zwischen den Einzelnen her. Immer wieder schimmern Bilder von Trauer auf, von Einsamkeit, aber auch von Trost. Und dann leuchten in spinnenartigen Buchstaben plötzlich Wörter auf den Trümmern, »Tod« steht da und »Liebe«.

Trauer und Trost

Wie himmlische Antworten auf die vier introvertierten, schmerzlichen Sätze von György Ligetis »Requiem« erklingen die entsprechenden vier Sätze aus Wolfgang Amadeus Mozarts gleichnamiger, letzter Komposition (angesichts der Riesenbesetzung von Ligetis Komposition kommt die Musik des Abends vom Band). Zu den klassischen Tönen wird der Tanz strukturierter, geht tröstend in Paare, Reigen, Ordnungen über, bevor wieder die quälenden Fragen nach dem Ende des Lebens entstehen. Bis zum Schluss eine einsame Frau durch die Trümmer geht und aus ihnen das Wort »Licht« ertanzt. Großer Jubel des Ulmer Publikums für die Tänzer und die Ballettdirektorin. (GEA)