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Aktuell Ausstellung

Klicks für die Ewigkeit in Reutlingen

Auf der Suche nach dem perfekten Augenblick reist der Fotograf Max Schmid seit Jahrzehnten um die Welt. Seine Werke sind jetzt in der Reutlinger Stadtbibliothek zu sehen.

Max Schmid neben einer Fotografie von Strukturen auf einer Felswand, die er auf Tasmanien entdeckte.  FOTO: KNAUER
Max Schmid neben einer Fotografie von Strukturen auf einer Felswand, die er auf Tasmanien entdeckte. FOTO: KNAUER
Max Schmid neben einer Fotografie von Strukturen auf einer Felswand, die er auf Tasmanien entdeckte. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Die Panoramen, die sich die Wände im Ausstellungseck der Stadtbibliothek entlangziehen, sind atemberaubend. Felsformationen, Quelltöpfe, Lavaströme. Himmel, Wasser, Eis und Feuer, festgehalten in entlegenen Gegenden des Globus, in einer Intensität, dass es fast irreal wirkt. Dabei ist das alles genau so fotografiert, nicht digital aufgepimpt.

Max Schmid heißt der Mann, der ein Leben lang ruhelos um den Globus gehetzt ist, um diese Momente einzufangen. Ein Schweizer, ein Besessener des Bildes, ein Original. Eigentlich stellt er fast nie aus, es interessiert ihn nicht, selbst die Bildbände, von denen er letztlich lebt, muss der Verlag ihm abringen. Was Schmid allein interessiert, ist die Suche nach dem perfekten Bild. Dafür reist er auch mehrere Jahre hintereinander immer wieder an die eine entlegene Stelle in Alaska, um den einen Moment zu erwischen, in dem alles stimmt. In dem die Sonne genau so über die Schneefelder strahlt, als wäre es eine höhere Erscheinung. Wie Veronika Lenzing übermittelt, die die Ausstellung für die Stadtbibliothek organisiert.

Hüttenwirt in Island

Eigentlich will Schmid nicht ausstellen; um ihn nach Reutlingen zu locken, braucht es schon einen Wenni Wellsandt. Der Künstler und der fotografierende Globetrotter sind enge Freund seit Jahrzehnten. 1972 trafen sie sich zum ersten Mal, auf Island. Da war der Reutlinger Wellsandt noch ein Jungspund und Schmid, 27, hatte sich im isländischen Nirgendwo als Hüttenwirt verdingt. Um seine Foto-Touren zu den Vulkanen und Gletschern ringsum zu finanzieren. Er habe erst später erfahren, warum diese Hüttenwirtstelle als einzige nicht besetzt war, erzählt Schmid. »Die Isländer wussten, dass es dort geistert.« Ende der Durchsage. Ja und, Herr Schmid? Hat es wirklich gespukt? Es dauert etwas, dann: »Es sind merkwürdige Dinge passiert dort.«

Schmid und Wellsandt, das ist eine Symbiose wie Eis und Feuer. Hier Wellsandt, der vor Enthusiasmus nur so sprudelt, dort der Schweizer, nie ein Wort zu viel. Etliche Male sind sie losgezogen, der eine mit der Kamera, der andere mit dem Skizzenblock, in entlegenste Regionen. »Man muss sich bei so was unbedingt aufeinander verlassen können«, sagt Wellsandt. »Das hat bei uns funktioniert.«

Für die Eröffnung hat Wellsandt extra seinen Aufenthalt in Ungarn unterbrochen, wo er noch bis Oktober als Stipendiat in der Künstlerkolonie in Reutlingens Partnerstadt Szolnok arbeitet. Island ist erst nach Schmids erstem Bildband zum Traumziel geworden, das jeder gesehen haben muss. Und wo jeder versucht, Bilder zu schießen wie die von Schmid.

Den zog es derweil in ganz andere Weltgegenden. Afrika, Australien, Tasmanien, Nordamerika. Am aufwendigsten, für ihn am beeindruckendsten, seine Foto-Expedition zu den Kerguelen. Die Inselgruppe unter französischer Herrschaft ragt im entlegensten Winkel des Indischen Ozean aus der Brandung, weiter südlich kommt nur noch die Antarktis.

Menschliche Bewohner gibt es nur, wenn gerade eine Expedition da ist. Wochenlang habe man in einer großen Höhle überm Meer gehaust, davor seien die bis zu dreißig Meter hohen Brecher hochgeschlagen, erzählt Schmid. Hier gibt es nur Fels, Wasser, Wind und eine kuriose Tierwelt. Ein Kampf der Elemente hautnah, da zieht es Schmid wieder hin.

Was nicht einfach wird. Medizinische Versorgung ist dort relativ. Ein paar Gräber haben sich schon angesammelt. »Die Franzosen nehmen dich nur mit, wenn du absolut fit bist«, grummelt Schmid. Er sei nicht krank, aber im Moment habe er keine Chance. »Da müsste ich richtig trainieren.« Mit 77 kein Zuckerschlecken. Ein fatalistisches Lächeln huscht über seine schmalen Lippen, die stahlgrauen Augen verraten Wehmut. Es sei fraglich, ob er da noch mal hinkomme. »Das Leben ist zu kurz, um alles zu sehen.« Der Schweizer Akzent macht es nicht tröstlicher.

Und doch, raus zieht es ihn weiterhin. Wenn nicht die Kerguelen, dann vielleicht Ostafrika. Da gibt es einen Natronsee, gibt es einen Vulkan mit besonders »kühler« Lava (»nur« 550 Grad), das wäre die Mühe wert. Nicht, weil Schmid diese Kuriositäten dokumentieren wollte, sondern weil sie einzigartige Strukturen abwerfen.

Wie abstrakte Kunstwerke

Das reine Dokumentieren hat Schmid nie gereizt. Auf seinen Bildern sieht die Natur jedes Mal so aus, als habe ein künstlerisch hochbegabter Schöpfergott einen Augenblick exzentrischer Inspiration ausgelebt. Viele Motive wirken wie abstrakte Kunstwerke. Oft ist gar nicht klar, ob man gerade ganz dicht dran ist an einem Motiv oder ganz weit weg; ob man aus nächster Nähe auf Kristallstrukturen blickt oder aus Kilometern Höhe auf ein Flussdelta. Es ist der eine Moment, in dem Natur und Ästhetik, Realität und Kunst ununterscheidbar werden. Wobei Schmid bescheiden abwinkt: »Die Natur ist die Künstlerin. Ich interpretiere nur.«

Understatement ist Teil dieses Originals. Dieses Globetrotters mit dem schulterlangen Silberhaar, der reißende Flüsse durchwatet, um an seine Motive zu gelangen. Er ist eine Type, beeindruckend in seiner Unbeirrtheit, sympathisch, gerade weil er weiß, dass die Zeit an ihm vorübergegangen ist. Das Internet habe ihm den Rang abgelaufen, konstatiert er mit einem Schulterzucken. Heute kreieren Tausende mit ein paar Klicks der Bildbearbeitung recht ähnliche Ergebnisse. Dass noch jemand für ein Motiv Wochen der Entbehrung auf sich nimmt – kaum vorstellbar. Mit so was ist man heute Dinosaurier.

Schmid nimmt’s mit eidgenössischer Abgeklärtheit. Irgendwo tangiert es ihn auch nicht wirklich. Was ihn einzig berührt, ist die Welt da draußen, diese unfassbare Natur, der er den einen oder anderen Moment abringen will, in dem sie ihr Faszinosum preisgibt. Wir drücken die Daumen, dass es gelingt. Und Schmid noch viele dieser Momente mit uns teilt. In einer Ausstellung wie dieser hier in der Stadtbibliothek. Oder zumindest in einem neuen Foto-Bildband. (GEA)

 

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung mit Naturfotografie von Max Schmied ist bis 9. Juli im Ausstellungseck der Stadtbibliothek Reutlingen zu sehen, Dienstag bis Freitag 10 bis 19 Uhr, Samstag 10 bis 14 Uhr. www.stadtbibliothek-reutlingen.de