REUTLINGEN. »Dieu! qu'il la fait bon regarder!« – ein Gedicht von Charles d'Orleans, das die Schönheit und Sehnsucht nach Frankreich beschreibt – bildete den Titel eines Konzerts, das der Kammerchor Reutlingen in der Reutlinger Stadtbibliothek gab. Als musikalische Reise nach Frankreich angelegt, ging es chronologisch durch die Jahrhunderte. Dabei waren auch lyrische Exkurse - mit Texten von François Villon und Victor Hugo - Bestandteil des Vortrag-Reigens.
Mit dem Chanson »Tant que vivray« von Claudin de Sermisy erklang Musik des 16. Jahrhunderts. »Ihr Herz ist mein, mein Herz ist ihr's«, hieß es darin sinngemäß. Dem anmutig singenden Chor war anzuhören, dass er von Liebe sang, die seliges Glück verheißt. Chorleiter Marcel Martínez führte nicht nur dirigierend und moderierend durch den Abend. Er bezog auch das Publikum mit ein, übte mit den Zuhörerinnen und Zuhörern den Rhythmus einer Pavane, eines geradtaktigen, feierlich-langsamen Schreittanzes, für den das Renaissance-Stück »Belle qui tiens ma vie« ein bekanntes Beispiel ist. Ein richtiger Ohrwurm. Das Klatschen des Publikums übernahm hier die Rolle des Tamburins. Der Chor sang die Strophen sanft, warm und zugewandt.
Stück mit Lautmalereien
Wie ein munteres Räderwerk, im Tempo nicht schnell, aber sehr bewegt, tönte Pierre Passereaus »Il est bel et bon«, ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert. Der Chor hatte hier viel Text und Lautmalereien unterzubringen, schaute konzentriert in die Noten. Und schob noch eine lebhaftere Fassung des Stücks hinterher, in der er statt der einzelnen Töne noch mehr die Linien herausarbeitete und die Musik zum Schwingen brachte.
Marcel Martínez gefiel mit Cembalostücken - darunter »Les Bergeries« - von François Couperin, die er auf dem Klavier spielte. Auch diese Klänge waren durchwirkt von Onomatopoesie, also der Nachahmung von Geräuschen und Lauten, in diesem Fall aus der Natur.
Szenisch-tänzerische Darbietung
Beim Stück »Forêts paisibles« aus der Ballettoper »Les Indes galantes« von Jean-Philippe Rameau agierten Kerstin Habig und Silke Brugger (beide Sopran) auch szenisch-tänzerisch.
Immer wieder war Judit Ferrer als Klavierbegleiterin dabei - und in »The Little Shepherd« aus Claude Debussys »Children’s Corner« auch mit einem Solostück zu hören. Wunderbar kindlich und verspielt klang dieser Satz. Die junge Lina Kuhnke gab dem fürs Cello geschriebenen Klassiker »Le cygne« (Der Schwan) aus Camille Saint-Saëns' »Karneval der Tiere« auf der Viola große Anmut. Graziös und würdevoll zog der Schwan seine Bahnen, in warmen Klängen gemalt.
Liebestrunken und sehnsuchtsvoll
Ein aufblühender Chorklang, rund und voll, prägte die Darbietung von Gabriel Faurés »Cantique de Jean Racine«. Eine eindringliche Bitte um Gnade. Und schließlich gab sich der Chor in Debussys Vertonung von »Dieu! qu'il la fait bon regarder!« beseelt, liebestrunken und sehnsuchtsvoll. Mit französischen Spezialitäten und Getränken klang der Abend aus. (GEA)