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Klangmagie und Drastik: Mozarts Requiem in der Reutlinger Christuskirche

Zwischentexte von Walter Jens haben die Aufführung von Mozarts Requiem in der Reutlinger Christuskirche bereichert. Ausführende waren der Philharmonia Chor Reutlingen, Musiker der Württembergischen Philharmonie und Solisten.

Der Philharmonia Chor Reutlingen und Musiker der Württembergischen Philharmonie unter der Leitung von Martin Künstner bei der Au
Der Philharmonia Chor Reutlingen und Musiker der Württembergischen Philharmonie unter der Leitung von Martin Künstner bei der Aufführung von Mozarts Requiem in der Reutlinger Christuskirche. Foto: Christoph B. Ströhle
Der Philharmonia Chor Reutlingen und Musiker der Württembergischen Philharmonie unter der Leitung von Martin Künstner bei der Aufführung von Mozarts Requiem in der Reutlinger Christuskirche.
Foto: Christoph B. Ströhle

REUTLINGEN. Mozarts Requiem hat man in Reutlingen oft schon hören können. Der Philharmonia Chor Reutlingen hat es nun aber verstanden, den Blick auf Mozarts letztes Werk bei einer Aufführung in der Christuskirche zu bereichern, indem er es mit Texten kombinierte, die der vor 100 Jahren geborene und vor 10 Jahren gestorbene Tübinger Rhetorikprofessor, Intellektuelle und Autor Walter Jens kenntnisreich-analytisch, aber auch in einfühlendem und andachtsvoll-poetischem Ton formuliert hat. Der in Genua und Reutlingen aufgewachsene Schauspieler Hannes Achim Langanky trug diese Texte, die sich mit Mozart und seinem Requiem auseinandersetzen, zwischen den Sätzen des Requiems verständig und ohne Pathos vor.

Mozarts musikalischem Ansatz, seinen Sehnsüchten, Ängsten und Hoffnungen in Bezug auf die Endlichkeit und die großen Lebensfragen nachspürend hatte Walter Jens die Gedanken 1998 verfasst und im Rahmen von Konzerten wiederholt vorgetragen, wie Ute Rupprecht-Schampera in ihrer Einführung zu berichten wusste. Als im hohen Alter die Demenz schon Walter Jens' Leben bestimmte, soll er eines Tages rastlos suchend in Papieren gekramt haben und erst zur Ruhe gekommen sein, als er besagtes Manuskript in den Händen hielt.

Bitterer Kern

Der Philharmonia Chor unter Martin Künstners Leitung, ergänzt durch Musikerinnen und Musiker der Württembergischen Philharmonie und die Vokalsolisten Cornelia Fahrion (Sopran), Mirjam Kapelari (Mezzosopran), Marcus Elsässer (Tenor) und Matthias Bein (Bass), wählte einen Zugriff auf Mozarts Musik, der, bei aller Klangmagie, auf die sich der Meister verstand, den Schrecken des Todes, der Mozart beim Komponieren ergriffen haben mag, in seiner drastischen Form zeigte. Verzweiflung und Flehen waren hier nicht Konvention oder Pose, sondern Ausdruck eines bitteren Kerns, einer existenziellen Erfahrung. Mozart starb bekanntlich, bevor er das Requiem vollenden konnte. Mindestens ein Drittel der Komposition wurde von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr ergänzt.

Walter Jens weist in seinen Texten darauf hin, dass Mozart »auf der Höhe seiner Kunst« starb. Dass da in einem »funebren Theaterstück« bis zuletzt »ein guter Freimaurer katholischen Glaubens« mit den Menschen erhebenden, ihn aber auch in seinem Drang nach dem Unendlichen begrenzenden Dämonen rang. Packend gestalteten die Ausführenden den großen Zorntag. Regelrechte Klangbretter stellte der Chor im »Dies irae« über einem aufgewühlten Orchesterklang hin. Und zeigte an anderer Stelle - von Süßmayr komplettiert -, dass da einer den Glauben an die Liebe Gottes nicht aufzugeben bereit war.

Höllenvision und sanfte Bitte

Gegen die von den Männerstimmen des Chors forte und in scharf punktierten Rhythmen intonierte Höllenvision (Confutatis maledictis, flammis acribus addictis - »Die Übeltäter sind verbannt, den sengenden Flammen übergeben«) setzten die Frauenstimmen sanft singend und sotto voce die Bitte, sie in die Reihen der Seligen aufzunehmen (voca me cum benedictis). Beeindruckend!

Das Solistenquartett - durchweg im Dramatischen wie im Lyrischen bewanderte, tragfähige Stimmen - schuf einzeln und in einem homogenen Ensemble-Klang gekonnt Momente des aufgewühlten Ergriffenseins und des Hoffnungsfroh-Andachtsvollen und nahm das Publikum mit auf eine stets auch das eigene Ich berührende Reise. (GEA)