Die US-Sopranistin Christie Finn und der deutsche Klarinettist Felix Behringer haben sich in der Performance-Klasse der New Yorker Manhattan School of Music kennengelernt und sind seit 2009 als Duo Noise-Bridge unterwegs – in engem Kontakt gerade mit den Komponisten. Fast alle Werke des Abends, bis auf Georges Aperghis’ »Récitations« von 1978, waren dem Duo gewidmet.
»So Full of Shapes is Fancy« ist eine klangerotisch flirtende Adaption des Xenakis-Schülers Pascal Dusapin aus Motiven von Shakespeares »Was ihr wollt«, in der sich die Charaktere von Bassklarinette und Sopranstimme mal verblüffend annähern und dann wieder in extreme Ferne aufspreizen.
Quietsche-Ente und Megafon
Dem allgegenwärtigen Spreizen der Propaganda stellt der italienische Komponist Francesco Maggio, Jahrgang 1986, in seinem gleichnamigen Stück das Diktum des Dichterarztes Gottfried Benn »Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz …« entgegen. Maggio arbeitet mit Brett und Bohrer, Quietsche-Ente und Megafon, mit Sprache, Ton und Geräusch, mit der Stimme und allem, was eine Bassklarinette so an Klang hervorbringt. In einem melodielosen, motorisch-maschinenhaften Vierer-Rhythmus entwickelt er eine suggestive Struktur, die im Hintergrund von der mathematischen Fibonacci-Reihe aus einer heimlich harmonischen Proportion des Goldenen Schnitts gehorcht. Ein Verfahren übrigens, das auch Bach benutzte.Von Georges Asperghis’ 14 hochvirtuosen Solo-»Récitations« in einer Fantasiesprache zwischen Sprechen, Schreien, Kreischen, Keuchen, Hecheln und schwerem Atmen ließ Chris Finn zwei als Zwischenspiele erklingen, bevor sich das Duo mit der »Vox regula« des anwesenden kanadischen Studienfreundes Christopher Goddard beschäftigte. Die Auftragskomposition der Musica nova umspielt ein 2014 entdecktes Officium aus dem 10. Jahrhundert, das angeblich älteste notierte mehrstimmige Stück.
Die Mittel des Musikers aus Montreal ähneln durchaus denen von Dusapin und Maggio. Vielerlei Ausdrucksformen der menschlichen Stimme gegen die (normale) Klarinette gesetzt, religiöse und musiktheoretische Textfragmente in vier Sprachen; dazu Töne und Geräusche, Anklänge von Gregorianik bis Zwölftontechnik, mal synkopisch, im Flageolett oder als Hauch und Flüstern.
Hörbar verrinnende Zeit
Hannes Dufeks 2015 entstandenes »Außen II/Von außen« ist ein grandioses Stück Klangerfahrung von der 18-Minuten-Länge einer – hörbar aus umgekehrter Pyramide auf zerknülltes Zeitungspapier ablaufenden – Sanduhr: Zwei Metronome, brechende Zweige, zündende Streichhölzer, Weltempfänger, Laptop-Töne Wasserkrüge und fallende Blechbüchsen, die Stimme und zweierlei Klarinetten schaffen eine wunderbar genau abgezirkelte Collage, die als Klanginstallation auch Skulptur, auch Theater ist.Schlussstück war ein »Tandem«, das der Amerikaner Chris Fisher-Lochhead dem befreundeten Duo 2013 »auf den Leib geschrieben hat« – wieder mit einer Fantasiesprache, einem Erkunden aller denkbaren Laute von Stimme und Instrument, in drei schwerer werdenden Atemzügen ins Mundstück ausgehaucht. Ein großartiger Abschlussabend der Saison, mit langem Beifall bedacht. (GEA)