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Kammermusikzyklus feiert Fest der Liedkunst in Reutlinger Stadthalle

Die Grande Dame der Liedkunst Sibylle Rubens traf im Reutlinger Kammermusikzyklus auf junge Talente des Genres. Das Ergebnis: Höchst charmant!

Fein ausschattierte Minidramen: Sibylle Rubens singt Kunstlieder in der Stadthalle.
Fein ausschattierte Minidramen: Sibylle Rubens singt Kunstlieder in der Stadthalle. Foto: Armin Knauer
Fein ausschattierte Minidramen: Sibylle Rubens singt Kunstlieder in der Stadthalle.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Es gab Zeiten, da galt das Kunstlied als angejahrt. Das ist vorbei. Junge Talente entdecken das Genre, diese Minidramen, in denen sich in drei Minuten eine Achterbahn der Gefühle entfaltet. Friedemann Rieger setzt als Leiter des Reutlinger Kammermusikzyklus darauf. Der Erfolg gibt ihm recht. Der kleine Saal der Stadthalle ist gut gefüllt bei einer weiteren Ausgabe der »PoeMus«-Liedkunstreihe innerhalb des Zyklus am Donnerstagabend.

Dem Hauptkonzert stellt Rieger als »Vorgruppe« drei Jungtalente voran. Das habe er sich von Popkonzerten abgeschaut, lässt er durch Vizekulturamtsleiterin Susanne Merkl übermitteln, selbst durch eine Konzertverpflichtung verhindert. Der Wannweiler Bariton Hannes Nedele, 22, die erst zwanzigjährige Armenierin Ashkhen Varzhapetyan und die aus Nordmazedonien stammende Pianistin Dani Zhogovska bestreiten den »Aufwärmteil«, alles Studierende an der Stuttgarter Musikhochschule.

Nachwuchs im Duett

Die knappe halbe Stunde, die sie gestalten, ist ein Fest. In Mendelssohns »Herbstlied« verschmelzen die Stimmen der beiden Jungsänger wunderschön, Nedeles samtig warmer Bariton, Varzhapetyans heller, schlanker Sopran. Lustig wird's im zweiten Duett: Im Brahms-Lied »Vergebliches Ständchen« schmachtet Nedele hinreißend vor der Tür der Angebeteten, die ihn mit kühlem Witz abblitzen lässt.

Dazwischen sind sie solo zu erleben. Erst Ashkhen Varzhapetyan: In zwei Stücken von Richard Strauss und Clara Schumann fließt ihre Stimme in weichen Bögen. Klare Konturen zieht sie mit ihrer filigranen Sopranstimme. Noch wagt sie sich nicht so ganz aus sich heraus, aber mit ihrer einnehmenden Persönlichkeit hat sie das Publikum schnell gewonnen.

Da stimmt die Chemie: Ashkhen Varzhapetyan und Hannes Nedele im Duett.
Da stimmt die Chemie: Ashkhen Varzhapetyan und Hannes Nedele im Duett. Foto: Armin Knauer
Da stimmt die Chemie: Ashkhen Varzhapetyan und Hannes Nedele im Duett.
Foto: Armin Knauer

Hannes Nedele entfaltet in Norbert Glanzbergs wehmütiger Liebeserklärung an einen alten Baum eine große Fülle der Melodik. Aus Hugo Wolfs »Abschied« macht er eine witzige Kabarettnummer: Ein ungebeten zu Besuch gekommener eitler Kritiker wird unsanft hinauskomplimentiert. Mit Gesten und Mimik skizziert Nedele die Charaktere, holt sängerisch das Parodistische heraus. Die junge Pianistin Dani Zhogovska ist ganz eng bei den Sängern, schmiegt sich einfühlsam an, setzt eigene Akzente.

Großmeisterin der Liedkunst

Auf die junge Garde folgt die Großmeisterin. Die Tübingerin Sibylla Rubens hat die Liedkunst als Ausführende wie als Unterrichtende durchmessen, zuletzt den Liedkunst-Wettbewerb im Tübinger Komponistinnen-Festival organisiert. Mit ihrer Klavierpartnerin Doriana Tchakarova zeigt sie die ganze Faszination des Genres.

Gleich die sechs Mozart-Lieder als Einstieg spannen einen ganzen Kosmos auf. Das »Veilchen« holt den Hörer im unschuldigen Volksliedton ab, ehe sich emotionale Tiefen auftun. Opernhafte Theatralik regiert hingegen, wenn die betrogene Luise die Briefe ihres Geliebten verbrennt. Da brennt auch Rubens' Sopran, und Tchakarova lässt die Flammen aus der Tastatur züngeln.

Hommage an Komponistinnen

Mitreißend, wie Rubens in die jeweiligen Rollen hineingeht, sie sich ganz zu eigen macht. Wie Tchakarova dafür am Klavier die klanglichen Räume aufzieht. Erlebte man bei Mozart eine Welt fein gezogener Linien, so strömt es bei Schumann mit breitem Pinsel. Die Brahms-Lieder vor der Pause sind getragen von einem orchestralen Fundament mit kraftvollen Klavierbässen.

Nach der Pause zwei Komponistinnen, die es zu entdecken gilt: Johanna Kinkel und Luise Greger. In sich ruhend schimmert Rubens' Stimme in Kinkels »Nachtlied«, in der hohen Klavierlage funkeln die Sternlein. Kinkel hat auch atemlose Dramatik drauf, in »Vorüberfahrt«, im Lied von der »Loreley«. Rubens entfesselt das eindrucksvoll.

Erstaunliches Multitalent

Johanna Kinkel (1810-1858), erstaunliches Multitalent als Komponistin, Musikforscherin, Romanautorin, nach der 1848er-Revolution im Londoner Exil gelandet, ist in der Frühromantik zu Hause. Mit Luise Greger (1861-1944), die mit 82 Jahren von den Nazis ermordet wurde, geht es in die Spätromantik. Mal grell aufflammend wie in »Rastlose Liebe«, mal voll sanfter Melancholie wie in »Wenn ich dereinst«. Ihr »Schlummerlied« breiten Rubens und Tchakarova als berührende Meditation aus.

Generationen vereint: Sibylla Rubens (links) im Terzett mit Ashkhen Varzhapetyan und Hannes Nedele.
Generationen vereint: Sibylla Rubens (links) im Terzett mit Ashkhen Varzhapetyan und Hannes Nedele. Foto: Armin Knauer
Generationen vereint: Sibylla Rubens (links) im Terzett mit Ashkhen Varzhapetyan und Hannes Nedele.
Foto: Armin Knauer

Ein schöner Übergang zur Tonwelt Edvard Griegs. Eine Welt zwischen karger Sehnsucht und neckender Verliebtheit, Leidenschaft und Naturbildern. Ein schöner Abschluss. Als Zugabe ein Lied Clara Schumanns und ein Mondgesang von Brahms. Bei dem Rubens, Nedele und Varzhapetyan sich zu einem harmonisch in sich ruhenden Trio vereinen - beglückender Brückenschlag der Generationen. (GEA)