REUTLINGEN. Rebellinnen mit gezücktem Bleistift zeigt Jacqueline Wanner in ihrer Installation zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in Deutschland »Sein Kreuz machen«. Dargestellt sind fünf Anführerinnen der radikal-bürgerlichen Frauenbewegung: Anita Augspurg, Marie Stritt, Lily Braun, Minna Cauer und Sophia Goudstikker. Jeweils ein Foto von ihnen prangt auf einem Stickrahmen neben einem großen, mit rotem Garn gestickten Kreuz. Nicht eine Sticknadel ist mit dem Garn verknüpft, sondern ein Bleistift. Eine der Dargestellten hält einen Wahlzettel in der Hand. »Schluss mit dem Kreuzstich und den mit Handarbeiten möglichst mundtot gemachten Damen!«, hält Jacqueline Wanner in einer schriftlichen Erklärung dazu fest.
Mit ihr haben sich neun weitere Künstlerinnen der Gedok Reutlingen an einer Gemeinschaftsarbeit zum Thema Frauenwahlrecht und zur Stellung der Frau beteiligt. »Engagiert, aufrüttelnd, mahnend und doch auch mit einem Augenzwinkern«, so die neue Reutlinger Gedok-Vorsitzende Barbara Krämer in ihrer Einführung, formulierten sie bildnerisch ihre Standpunkte. Deutlich werde, »Frauen machen sich auf den Weg, geben sich nicht mehr mit einer Zuschauerrolle zufrieden, sondern erobern sich den ihnen zustehenden Platz – im künstlerischen, im politischen und im gesellschaftlichen Bereich.«
Figuren aus Robinienholz
In der am Mittwochabend eröffneten Gedok-Jahresausstellung »Jetzt gerade!« – bis 24. November im Spitalhofsaal – sind insgesamt Arbeiten von 20 Künstlerinnen zu sehen. Da sind etwa Jolanta Switajskis bildhauerische Arbeiten: Darstellungen von Frauen, mit der Motorsäge aus Eichen- und Robinienholz geschält. Und ihre Beschreibung dazu: »Was die meisten Figuren eint, ist die gebeugte Haltung, sind die Krümmungen ihrer Körper – in den vielen Wirklichkeiten, bis heute, die Folgen von Gewalt, zu vieler Geburten, doppelter Arbeitsbelastung, unzureichender Ernährung und der endlosen Wege, die sie in ihrem Leben zurücklegten.«
Gerburg M. Stein betont, es mache sie »wütend und sprachlos, dass im Namen der Religion auch heute noch Terror auf Frauen ausgeübt und durch religiöse Grundlage vermeintlich legitimiert wird, um sie angeblich zu schützen. Befreiung tut not.« »Hinter Gitter« hat Gerburg M. Stein ihre Mischtechnikarbeit genannt. Assoziativ wird der Blick des Betrachters – auch eines außerhalb dargestellten – durch ein fein gerastertes Gitter auf eine Art Puppenbühne gelenkt. Oder handelt es sich um eine Gestalt in Ganzkörperverschleierung? Eine Wüste ist hinter dem Gitter zu sehen, gespickt mit Orten, an denen Terror auch in der westlichen Welt seinen Niederschlag gefunden hat. Direkt hinter dem Gitter meint man eine verschleierte Person zu erkennen. Ein paar Blüten haben es von ihr aus durch das Gitter geschafft.
Elke Mauz’ Installation »Frauenbewegung« deutete Barbara Krämer so: »Einige Entschlossene, filigran in weißer Keramik gearbeitet, stehen vorn und kämpfen für ihre Ideale – wohlwollend unterstützt von der schwarz schweigenden Masse im Hintergrund.« Während Christine Ziegler in »Raus aus dem Schubladendenken« in eben solche Schubladen farbig herausknallende Forderungen platziert (»Gleichstellung auf allen Ebenen«, »Auf eigenen Beinen stehen«), setzt Gisella Codara auf bedrucktem Porzellan 100 Jahre Frauenwahlrecht mit dem Woodstock-Festival und der Mondlandung in Beziehung. Ersteres, in der Mitte platziert, ragt sichtbar über die beiden anderen Ereignisse hinaus.
Bedrohte Flora und Fauna
Doch nicht alle Arbeiten drehen sich um diesen Themenkomplex. Heidi Degenhardt setzt die Signalfarbe Rot ein, um mit einer feinporigen runden Arbeit aus Porzellan auf das Aussterben von Korallen und Schwämmen im Meer hinzuweisen. Ein einzigartiger Lebensraum auch für Algen, Muscheln, Krebse, Meeresschildkröten, Seekühe und Wale drohe dort zu verschwinden. In ähnlicher Weise nimmt sich Birgit Hartstein des Themas Insektensterben an. »Jetzt gerade« sei es höchste Zeit, auch in der Kunst darauf aufmerksam zu machen, schreibt sie. Zwei als »Stories« angelegte Mischtechnikarbeiten von ihr mit Käfern, Fliegen und Schmetterlingen finden sich in der Ausstellung. (GEA)
AUSSTELLUNGSINFO
Die Gedok-Jahresausstellung »Jetzt gerade!« ist bis zum 24. November im Reutlinger Spitalhofsaal zu sehen. Sie umfasst auch Arbeiten von Kathrin Fastnacht, Gudrun Heller-Hoffmann, Ulrike Holzapfel, Doris Knapp, Margarete List, Lissi Maier-Rapaport, Helga Mayer, Ingrid von Normann, Jutta Peikert, Renate Quast, Inge Rau und Elke Roth. Geöffnet ist täglich von 11 bis 18 Uhr. (GEA)