Logo
Aktuell Pop

Jenseits der Glitzerwelt

Nach einer persönlichen Krise findet Ex-ESC-Siegerin Lena mit ihrem neuen Album zu sich selbst

Lena Meyer-Landrut
Wegen gesundheitlicher Probleme hat Lena Meyer-Landrut erneut einen Auftritt abgesagt. (Archivbild) Foto: Henning Kaiser/DPA
Wegen gesundheitlicher Probleme hat Lena Meyer-Landrut erneut einen Auftritt abgesagt. (Archivbild)
Foto: Henning Kaiser/DPA

STUTTGART. Wie gut oder schlecht geht es Lena Meyer-Landrut? Konzertabsagen wegen akuter gesundheitlicher Probleme entfachen derzeit Sorgen um ihren Zustand. Mittlerweile hatte die Sängerin gepostet, sie sei »langsam wieder aufm Damm«, doch nun musste sie ein am Montag in Regensburg geplantes Konzert erneut absagen. Ob es mit dem geplanten Auftritt an diesem Freitag in Stuttgart was wird, steht in den Sternen.

Der Titel des neuen Albums »Loyal To Myself« lässt jedenfalls schon anklingen, dass sie besser auf sich aufpassen will. Fünf Jahre sind verstrichen seit Lenas letztem Werk »Only Love, L«, was in der gegenwärtigen, in Richtung Massenmarkt gedeichselten Popmusik eine lange Zeitspanne ist. Auch nebenher war von ihr musikalisch nicht viel zu hören.

Da wäre die Wahrscheinlichkeit hoch gewesen, dass unsere bisher letzte ESC-Gewinnerin, die als 19-Jährige Hannoveranerin mit dem Lied »Satellite« 2010 in Oslo triumphierte und ein ganzes Land schockverliebt zurückließ, nun mit der Brechstange probiert, wieder die Tür zu den Charts aufzustoßen.

Das sogenannte Bonusmaterial, also die Stücke 14 bis 17 auf »Loyal To Myself«, lässt ahnen, dass die Strategie zumindest angedacht worden war: Hier finden sich Hip-Hop-Einflüsse und die EDM-Nummer »Straightjacket«; alles klingt mächtig aufpoliert und auf Perfektion und Überwältigung getrimmt.

Das eigentliche Album jedoch, der aus dreizehn Stücken bestehende Kern von »Loyal To Myself«, weiß positiv zu überraschen. In der öffentlichen Wahrnehmung war Lena ja tendenziell schon länger von der erfrischend unbekümmerten ESC-Triumphatorin zu einer latent schnippisch daherkommenden, am liebsten maledivisch angehauchte Bikini-Infinity-Pool-Fotos postenden Instagram-Prominenten degradiert, ja künstlerisch-kreativ quasi abgeschrieben worden.

Gutes Pop-Album

Das war voreilig. Denn »Loyal To Myself« ist ein gutes Pop-Album geworden. Jetzt nicht monströs gut wie die neue Billie-Eilish-Platte, aber Lena-gut. Das Album hat einen Spannungsbogen. Songtechnisch beginnt und endet es mit den einminütigen sanften Spoken-Word-Mantras »Let Me Dream« und »Lass mich träumen« (Lena singt hier tatsächlich auf Deutsch), auf denen sie interessante Sachen mit der Stimme macht, übers Atmen spricht, über uralte Bäume im Wind, und verspricht, ihr Kind zu beschützen.

Lena Meyer-Landrut ist ja vor drei Jahren Mutter geworden, Vater ist ihr Ehemann, der Kollege Mark Forster, in Interviews klammert sie das Thema penibel aus. In ihren Liedern spricht sie die Liebe zu Mann und Kind durchaus an, etwa in »Brown Blue Eyes«, wo es ums gegenseitige Trösten und das gesamtnächtliche Liebemachen geht.

Auch die Songs als solche atmen, sind lebendig und nachvollziehbar. Der Titelsong, in dem es um den Druck und die Erwartungen von außen geht sowie um den Wunsch, sich diesen Zwängen nicht länger zu beugen, ganz bei sich zu bleiben und möglichst gut zu sich selbst zu sein, ist zugleich ein kleines und ein großes Lied. Beinahe klingt es intim, wie am Lagerfeuer, dann aber entlädt es sich in einem »Nanana«-Mitsingrefrain – es ist wirklich sehr gelungen.

Akustische Elemente

Überhaupt erfreulich, wie präsent akustische Gitarre und Klavier (etwa im hübschen »See You Later«) immer wieder sind, und wie wenig auf Bum-Bum-Beat-Effekthascherei gesetzt wird. Spaß-Fakt: An einigen der Songs hat Lena in Los Angeles mit Sophie Simmons zusammengearbeitet, der Tochter von Kiss-Sänger Gene Simmons. Ein weiterer prägender Mitstreiter ist Nico Rebscher, der schon für Alice Mertons »No Roots« und Zoe Wees’ »Girls Like Us« mitverantwortlich war. Lena setzt also recht konsequent auf starkes Songwriting. Besonders deutlich wird das in »Run Charlie«, einer kleinen, leicht vom Country-Einfluss gestreichelten Indie-Pop-Perle, die auch auf dem neuen Taylor-Swift-Album nicht unangenehm auffallen würde.

Inhaltlich thematisiert Lena – wie viele andere Popsänger*innen derzeit – das Thema Selbstachtsamkeit. Jüngst sprach sie im »Spiegel«-Interview über ihre Depressionen, das Aufwachsen in aller Öffentlichkeit und darüber, dass das Leben nun mal für uns alle kein Ponyhof sei, für sie halt auch nicht. Schon ein ziemlicher Bruch mit dem bisher zur Schau gestellten Lebensglitter: Statt vom Strand postete sie Ende letzten Jahres ein Foto aus der Notaufnahme.

Neue Offenheit

Die Konzertabsagen deuten darauf hin, dass die Probleme nicht ausgestanden sind. Aber wenn Lena die neue Offenheit dabei hilft, als Mensch und Künstlerin zu sich selbst zu finden, dann tut sie gut daran, diesen Weg fortzusetzen. Denn die Neupositionierung als authentische Pop-Singer-Songwriterin steht ihr gut. Man hört Lena auf »Loyal To Myself« gerne zu und wünscht ihr das Beste. (GEA)

 

Album »Loyal To Myself« (Universal Music)

 

Live: 26. Juli Freilichtbühne Killesberg Stuttgart