STUTTGART. »Die Kraft der Musik ist grenzenlos«, begrüßt Marcus Miller am Donnerstagabend die rund 1.000 Besucher im Hof des Alten Schlosses. Er hält Wort und präsentiert im Anschluss gemeinsam mit seiner Band und mehreren Gastmusikern ein zweistündiges Programm, das sich über stilistische, geografische und ethnische Grenzen hinwegsetzt und eine Brücke von der Tradition afroamerikanischer Musik zur Moderne schlägt.
2013 begann der Bassist, Klarinettist und Arrangeur Marcus Miller mit der Suche nach seinen und den Wurzeln des Jazz in schwarzen Musiktraditionen. So hat der in New York lebende Afroamerikaner, der bereits viermal bei den Jazzopen aufgetreten ist, unter anderem den Kora-Musiker Chérif Soumano aus Mali und den südafrikanischen Gitarristen und Sänger Jonathan Butler eingeladen, um ein bewegendes Projekt aufzuführen. Das gut zehnminütige Stück »Gorée« steht dabei im Zentrum und begibt sich auf die Spuren des transatlantischen Sklavenhandels und zu seinen Vorfahren, die ihn zu diesem Werk inspiriert haben. Gorée ist der Name einer Insel vor der Küste Senegals, über die ein Teil des Sklavenhandels abgewickelt wurde.
Vitale Prozesse
Ungeachtet der vielen afrikanischen Segmente ist es ganz entschieden Jazz, was bei dieser betörenden Messe herauskommt. Damit bewegt sich Marcus Miller auf einer Linie, die Duke Ellington einst begründet hat, aus dessen Afrika-Fusion eben auch keine Weltmusik erwuchs. Denn die traditionellen Elemente werden keineswegs schnöde klangfarbenartig untergebuttert, vielmehr hat jedes Teil seinen Rang in diesem Ensemble. Das eine korrespondiert mit dem anderen in sehr vitalen Prozessen zwischen Reibung und Verwebung.
Zudem ist Miller als Leader wohltuend fern davon, sich über Gebühr in den Vordergrund zu spielen. Er berichtet von seinen afrikanischen Vorfahren, seinem prägenden Besuch des Sklavenhauses auf der Insel Gorée vor der Küste Senegals und lässt den Musikern des Septetts weidlich Raum. Vor allem die beiden Bläser Donald Hayes und Russell Gunn sowie der Gitarrist und Sänger Jonathan Butler spielen häufig den zentralen Part in diesem Ensemble und glänzen mit betörenden Saxofon- und Trompetensoli sowie afrikanisch beeinflussten Gesangseinlagen. Neben der Spurensuche zu den Quellen des Jazz betont der 66-jährige Amerikaner mit seinem E-Bass- und Bassklarinettenspiel auch den von Miles Davis geprägten Fusionjazz.
Wurzeln im Fusion-Jazz
Schließlich ist Marcus Miller, der in den 80er-Jahren mit seiner Arbeit an der Seite von Miles Davis bekannt wurde, von seiner Spielhaltung her im Fusion- und Cool Jazz verwurzelt. Er ist immer zuallererst auf den musikalischen Fluss und die rege Interaktion bedacht. Der Rhythmus ist ihm nicht weniger wichtig als die fragmenthaften Melodiefloskeln. Mit den funkigen Miles-Davis-Stücken »Tutu« und »Mr. Pastorius« initiieren der ehemalige Sideman des Jazz-Übervaters und seine Mitmusiker eine fast schon mystische Stimmung und lassen ihrer Improvisationslust freien Lauf. In den besten Momenten erinnert das tatsächlich an die Aufnahmen des Miles Davis Quintets.
Auch die eigensinnige Gruppenzusammenstellung von zwei Bläsern, Gitarre, Keyboard, Perkussion, Schlagzeug und einem Kora-Spieler verstärkt das Gefühl, ein besonderes Konzert zu erleben. So verbinden sich bei diesem Jazzopen-Auftritt Modernität und Tradition, assoziationsreiche Kabinettstücke und intime Rücknahme zu einem spannenden, fordernden Ineinander. (GEA)