BALEAREN. Seit seinem Monsterhit »You’re Beautiful« von 2004 ist der Engländer James Blunt ein Garant für leicht verdaulichen Gitarrenpop zwischen Melancholie und gebremster Ekstase. Auf »Who We Used To Be«, seinem achten Studioalbum, lotet Blunt die Pole zwischen Tieftraurigem (»The Girl That Never Was«) und Ibiza-Beat-Euphorie (»I Won’t Die With You«) aus und schwelgt dazu in Nostalgie. Wir sprachen mit dem 49 Jahre alten Musiker, der früher als Aufklärungsoffizier der Nato-Truppen im Kosovo diente, per Zoom in seiner Sommerresidenz auf den Balearen.
GEA: Sie melden sich aus Ibiza, wo Sie die meiste Zeit des Jahres leben. Kommt man an so einem Ort eigentlich zum Arbeiten?
James Blunt: Und wie! Ich sitze so gut wie jeden Tag am Schreibtisch, so wie jetzt gerade, oder halte mich im Studio auf. Wenn du dauerhaft hier lebst, ist es etwas ganz anderes, als wenn du jedes Jahr für zwei, drei Wochen Urlaub herkommst.
Im Winter siedeln Sie dann um ins schweizerische Verbier …
Blunt: Ich mag die Abwechslung, auch zwischen den Jahreszeiten. Früher habe ich in Los Angeles gelebt, dort ist das Wetter das ganze Jahr über dasselbe. Das wurde mir irgendwann zu eintönig.
Auf Ihrem neuen Album gibt es ein paar sehr tanzbare Songs wie etwa die erste Single »Beside You«. Gehen Sie auf Ibiza in die großen Clubs?
Blunt: Ja klar, ich muss doch recherchieren (lacht). Ich gehe tatsächlich ab und zu aus, und ich stehe auf den vibrierenden Sog, den so ein Club wie das Pacha, das Ushuaia oder das etwas dunklere Amnesia auf mich ausübt. Über das Pacha habe ich sogar mal einen Song geschrieben.
Begleitet Sie Ihre Frau?
Blunt: Es wäre ziemlich traurig für mich und meine Abende, wenn sie das nicht täte (lacht). Dann müsste ich ja wieder die Dinge tun, die ich als Junggeselle getan habe.
Zum Beispiel?
Blunt: Zu Beginn meiner Karriere war ich ein Single-Mann, der versucht hat, seinen Platz in der Welt zu finden. Der Romanzen gesucht, gefunden und wieder verloren hat, der sich ausprobiert hat. Mein Leben war toll, um Inspirationen für Songs daraus zu ziehen, doch als ich älter wurde, sehnte ich mich nach Stabilität. Dann lernte ich meine Frau kennen, wir heirateten 2014, haben zwei Söhne, und heute sehe ich die Welt durch ihre Augen.
Ihre Lieder hatten immer schon eine etwas wehmütige Note, aber auf »Who We Used To Be« treiben Sie es mit der Nostalgie ganz schön auf die Spitze.
Blunt: Der Grund ist einfach: Das Leben ist kurz. Wir sollten jede Minute auskosten. Je älter du wirst und je mehr Verlusterfahrungen du machst, desto klarer wird dir das vor Augen geführt. Der Sinn des Lebens ist es, Freude zu empfinden und diese Freude mit der Familie und den Freunden zu teilen. Denn bald schon wird es vorbei sein. Und so singe ich in »Beside You« über meine Frau, die ich über alles liebe und die immer an meiner Seite ist, was mir alles im Leben bedeutet. Sie ist die Einzige, die auch die Songs hören kann, die nur in meinem Kopf sind. Und dann halten wir uns und tanzen zu der Musik, die nur wir beide hören können. Aber ich greife auch traurige Erlebnisse auf, denn sie gehören ebenso zum Leben dazu.
In dem gefühlvollen Stück »The Girl That Never Was« geht es um ein Paar, das sich durch eine Kinderwunschbehandlung kämpft und den Kampf letztlich verliert.
Blunt: Dieser Song ist ein sehr persönlicher, er handelt von einer sehr, sehr frühen Verlusterfahrung. Ich hatte sehr viel Glück, aber ich weiß auch, wie sich Trauma und Trauer anfühlen. Es sind die simplen Dinge, die mir im Leben wichtig sind: Ich will, dass meine Familie glücklich, sicher und gesund ist.
Sie selbst sind als Sohn eines Soldaten als Kind viel umhergezogen. Wiederholt sich das bei Ihren Kindern?
Blunt: Ein Stück weit schon. Die Leute denken manchmal, wir überfordern die Kinder, aber das sehe ich nicht so. Wir sind als Familie eine Einheit, wir halten eng zusammen, und die Kinder treffen sehr viele sehr unterschied-liche Menschen. Sie sind dadurch sehr offen, sehr neugierig, und ich bin überzeugt, wer mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten, Hautfarben, Glaubensrichtungen und Kulturen zu tun hat, der kann nur sehr schwerlich zum Rassisten werden. Ich selbst lebte als Kind eines Armeemitglieds in England, Hongkong, auf Zypern und am Möhnesee in Westfalen. Die Menschen in Deutschland waren supernett, wir sind im Sommer im See geschwommen, im Winter konnten wir Schlittschuhlaufen. Das waren wunderbare Jahre. Allerdings, und das unterscheidet meine Kindheit von der Kindheit meiner Söhne, war die Stimmung eine ganz andere. Wir waren voller Hoffnung und Zuversicht, wir freuten uns auf die Zukunft. Heute gibt es die extreme Linke und die extreme Rechte, dazwischen klafft ein Riesenspalt. Früher gab es viel weniger Hass, man war bedacht auf Ausgleich.
»Dark Thought« ist ein Lied über Ihre 2016 verstorbene Freundin, die US-Schauspielerin Carrie Fisher. Wie war Ihr Verhältnis?
Blunt: Das war sehr eng. Ich lebte mehrere Jahre bei Carrie in Los Angeles, als ich dort meine ersten Alben aufnahm. Bis zu ihrem Tod war ich regelmäßig bei ihr, und ich habe mich jahrelang schwergetan, einen Song über sie zu schreiben – weil sie so eine wichtige Person in meinem Leben war, so ein großer, charakterstarker Mensch. Sie wusste, wo im Keller ich meine Leichen vergraben hatte (lacht). Sie war meine amerikanische Mutter, meine Vertraute, sie ist die Patentante meines ältesten Sohnes. Konkret handelt der Song davon, wie ich nach ihrem Tod zu ihrem Haus gehe, das so lange auch mein Haus war.
Was passierte dann?
Blunt: Ich hielt mich am Geländer fest und fing an zu weinen. In dem Moment kam einer dieser Touristenbusse, die an den Häusern der Prominenten vorbeifahren, und der Reiseführer sagte: »Hier links ist das Haus der verstorbenen Carrie Fisher.« Er zeigt auf mich. »Wie Sie sehen können, sind manche Fans noch immer tief erschüttert von ihrem Tod.« Ein surreal komischer, im Nachhinein sehr, sehr lustiger Moment.
Sie sind seit zwanzig Jahren erfolgreich. Wie viel steckt heute noch von dem jungen James Blunt in Ihnen?
Blunt: Ich denke nicht, dass ich mich so stark verändert habe. Ich habe meine Musik nie geschrieben, um zu beeindrucken oder um cool zu wirken. Ich schreibe auf, was mein kleines Herz bewegt, teile meine Schwächen, Ängste und Freuden mit den Menschen. Sie sind jetzt 50 Jahre alt geworden. War’s das jetzt?
Blunt: Ich habe meinen Freunden einen Song geschrieben. »I Won’t Die With You«. Darin sage ich ihnen: Verschiebt eure Pläne und Träume nicht auf morgen, sondern packt es an. Und glaubt nicht, dass ich mit euch untergehe. Denn ich habe noch verdammt viel Lust auf mein Leben. (GEA)
Album: »Who We Used To Be« (Warner Music)Live: 10. März, Schleyerhalle, Stuttgart