REUTLINGEN. So einen jungen Dirigenten hatte die Capella Vocalis noch nie. Seit August leitet Benedikt Engel den Knabenchor mit Standorten in Reutlingen und Besigheim. Dabei steht er noch mit einem Bein im Studium der Chorleitung in Trossingen. Mit dem anderen jedoch bereits voll im Chorleiterleben. Er führt die Kantorei der Ofterdinger Mauritiuskirche – nun auch den Reutlinger/Besigheimer Knabenchor.
Der junge Mann ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern ein Gewächs der Region. Christian Bonath, der die Capella von 2012 bis 2022 leitete, kam aus Worms, Hermann Dukek, Capella-Leiter von 2022 bis Sommer 2024, aus Stuttgart. Engel ist in Reutlingen geboren, aufgewachsen in Tübingen, wo er 2015 am Wildermuth-Gymnasium Abitur machte. Sein erstes Instrument war das Cello, zu Klavier und Orgel kam er erst als Teenager. Dann allerdings wurde ihm schnell klar, dass daraus ein Beruf werden kann. Er studierte Kirchenmusik an der Hochschule in Tübingen, machte dort Bachelor und Master - und setzte ein Studium in Orchesterdirigieren in Graz drauf.
Masterstudium in Trossingen
In Graz lief es nicht wie erhofft: Ein Wunschprofessor erkrankte, Leistungen aus Tübingen wurden nicht anerkannt. So wechselte er an die Musikhochschule Trossingen für einen Master in Chordirigieren. Schnell war er als Klavierbegleiter für Gesangsstudierende gefragt. Auch Capella-Mitglied Jan Jerlitschka nahm das in Anspruch. Auf einen Tipp Jerlitschkas hin bewarb sich Engel beim Knabenchor.

Engel hat in Chören gesungen, seit er denken kann. »Das gehört zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen«, erzählt er. Kinderchor, Jugendchor - nur ein Knabenchor war nicht darunter. Später stellte er fest, dass ihm die Arbeit mit jungen Sängern Spaß macht: »Ich mag das, die sind noch ganz unvorbelastet und haben einen entdeckerischen Willen.«
Die Chemie stimmt
Die Chemie mit der Capella habe sofort gestimmt. Wegen einer schon feststehenden Verpflichtung stieß er im Sommer erst spät zur Probenfreizeit im niederbayerischen Windberg, hatte kaum Zeit, um sich vor dem Schlusskonzert mit den Sängern zu beschnuppern. Vorbereitet hatte die Truppe ersatzweise sein Chorleiterfreund Nikolai Ott, Bezirkskantor in Mössingen. Der Auftritt lief blendend.
Erfreut hat Engel, dass er bei der Capella funktionierende Routinen vorfand. Etwa vor den Konzerten, wenn die Älteren den Jüngeren mit der Konzertkleidung helfen. »Dieses Gemeinschaftsgefühl ist bei der Capella sehr ausgeprägt und auch sehr wertvoll«, findet Engel.
Einschnitte durch Corona
Bewusst ist ihm, dass die finanzielle Situation der Capella schwierig ist und dass die Corona-Pandemie tief eingeschnitten hat. Zwei Jahre lang war der Weg an die Schulen für Nachwuchswerbung versperrt, waren nur behelfsmäßige Online-Proben möglich. Der Chor ist geschrumpft, es gibt Nachholbedarf in der Ausbildung. Bereits Hermann Dukek hatte die Schulbesuche wieder angekurbelt; Engel setzt das fort. Es werde Zeit brauchen, bis sich alles wieder einspiele.
Konzertinfo
Am Samstag, 14. Dezember, gestaltet die Capella Vocalis ein weihnachtliches Mitsingkonzert mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen (WPR) und dem Chor der Waldschule Ohmenhausen um 18 Uhr in der Reutlinger Marienkirche. Am Sonntag, 22. Dezember, ist ein Adventskonzert gemeinsam mit dem von Stefan Weible geleiteten Mädchenchor der Capella um 17 Uhr in der Reutlinger Kreissparkasse. Am 26. Dezember ist die Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium mit der WPR um 17 Uhr in der Stadthalle Reutlingen. (GEA)
Für die ersten Auftritte hat Engel Stücke von Mendelssohn und Gounod ausgesucht, die eher die basalen Fertigkeiten schulen: schönes Legatosingen, genaue Vokale, klare Phrasierung. Um von hier aus das Virtuosere neu aufzubauen. Mit den drei Stimmbildnern Jan Jerlitschka, Susanne Brändle und Robin Neck ist er sich einig, um was es im Einzeltraining vorrangig gehen soll: richtiges Atmen, Vokaltreue, Öffnung der Stimme in der Höhe.
Die Sänger motivieren
Vor allem liegt Engel die Motivation seiner Sänger am Herzen. »Mir ist wichtig, dass die Jungs nach einem Konzert einen Kopf größer rausgehen.« Einer seiner Neulinge sei bei einem Konzert zum ersten Mal mit aufgetreten – »der kommt jetzt mit einer anderen Haltung in die Chorprobe«. Wenn die Grundstimmung stimme, strahle das aus.
Auftritte, um neue Motivation zu tanken, gibt es einige in nächster Zeit: ein Mitsingkonzert mit der WPR, das Adventskonzert in der Kreissparkasse, das Weihnachtsoratorium in der Stadthalle. Was sein wird, wenn Engel Ende nächsten Jahres sein Masterstudium abgeschlossen hat, weiß er noch nicht: »Vorläufig gebe ich hier alles.« (GEA)