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»Ins Blaue«: Die Tonne streift singend und tanzend durchs Reutlinger Freibad

Im dritten Anlauf klappt es endlich mit dem Tonne-Ausflug ins Reutlinger Freibad. Bäume und Becken bieten eine zauberhafte Kulisse für Lieder, Songs, Texte und Tänze. Eine Nixe erklimmt gar den Zehnmeterturm.

Musikalisch-Theatralisches am Beckenrand: David Liske und Ulrike Härter bei der Premiere von »Ins Blaue«.
Musikalisch-Theatralisches am Beckenrand: David Liske und Ulrike Härter bei der Premiere von »Ins Blaue«. Foto: Armin Knauer
Musikalisch-Theatralisches am Beckenrand: David Liske und Ulrike Härter bei der Premiere von »Ins Blaue«.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Im dritten Anlauf hat's endlich geklappt mit dem musikalisch-theatralischen Ausflug der Tonne ins Reutlinger Freibad. Erst kam eine Erkrankung dazwischen, dann der stadtfesttypische Nieselregen - am Samstagabend war's zumindest anfangs trocken, ehe doch wieder Regen einsetzte.

Egal, das Spektakel hatte seinen Reiz für die rund hundert Premierengäste. Es hat was von Teenagerzeiten, als man im Mondlicht über den Zaun stieg, oder auch von »Nachts im Museum«: Man ist zur Sperrstunde auf dem Gelände, alles wirkt anders. Geigen- und Akkordeonklänge wehen über die Wiese (Michael Schneider, Andrej Mouline), ein Kobold mit blau bemaltem Gesicht treibt seine Späße (Aaron Smith), unter den Bäumen flaniert eine Dame im Reifrock (Ulrike Härter), ein Herr mit Zylinderhut (David Liske), ein Wasserwesen mit türkisgrünem Haar (Justine Rockstroh, Kostüme: Sibylle Schulze). Das Freibad hat sich in eine Fantasiewelt verwandelt, irgendwo zwischen Shakespeares »Sommernachtstraum« und E.T.A. Hoffmann.

Fantasiewesen im Plastikball

Was genau sich da für eine Geschichte andeutet, bleibt unklar. Stattdessen entfaltet sich in der Regie von Enrico Urbanek eine assoziative Folge von Szenen und Bildern mit Musik und Tanz (Choreografie: Yaron Shamir). Der nassen Sphäre nähern wir uns dabei behutsam. Noch auf der Wiese singt David Liske den Italo-Schlager »Azzurro« von Paolo Conte. Noch weit vom Wasser rollt Justine Rockstroh als türkishaariges Fabelwesen im Plastikballon übers Gras. Mit Suzanne Vegas melancholischer Ballade »Small Blue Thing« vergleicht sie sich selbst mit einer billigen Glasmurmel aus chinesischer Produktion.

Mambo-Tanz im Flachwasser: Mitglieder der Tonne im Wellenbecken.
Mambo-Tanz im Flachwasser: Mitglieder der Tonne im Wellenbecken. Foto: Armin Knauer
Mambo-Tanz im Flachwasser: Mitglieder der Tonne im Wellenbecken.
Foto: Armin Knauer

Doch dann ist man am Wellenbecken, wo Liske, Härter und Rockstroh mit den Fantastischen Vier den »Tag am Meer« beschwören in all seiner Magie. Ausgelassen tanzen die Mädels vom Tonne-Jugendforum zu Mambo-Musik im flachen Wasser, das kühle Nass spritzt. Aber das Meer kann auch grausam sein und wüst das Treiben in den Hafenkneipen. Chrysi Taoussanis besingt sie mit Jacques Brels Chanson »Amsterdam«, die Matrosen, die mit viel Rum die Erinnerungen an Stürme und Gefahren hinwegspülen. Schon hebt sich die Brandung im Becken, die Wogen rollen, und alle zusammen singen das Lied vom Wellerman, in dem der Ozean immer Sieger bleibt.

Ballett im Nichtschwimmerbecken

Weiter gleitet der Fokus zum Nichtschwimmerbecken, in dem Angelica Bistarelli und Simona Semeraro ein betörend poetisches Ballett vollführen, mitten im Wasser wie geheimnisvolle Wesen aus der Tiefe. Melancholisch klingt dazu die Musik von Geiger Michael Schneider am Beckenrand. Auch Andrej Mouline taucht mit seinem Akkordeon immer wieder auf, Klangschalen oder eine Stahltrommel erklingen hier und dort.

Poetisches Wasserballett: Angelica Bistarelli (links) und Simona Semeraro tanzen im Nichtschwimmerbecken.
Poetisches Wasserballett: Angelica Bistarelli (links) und Simona Semeraro tanzen im Nichtschwimmerbecken. Foto: Armin Knauer
Poetisches Wasserballett: Angelica Bistarelli (links) und Simona Semeraro tanzen im Nichtschwimmerbecken.
Foto: Armin Knauer

Auf dem Weg zum Sprungbecken begegnen wir einer Gruppe von Seemännern mit weißen Reifröcken, darunter das inklusive Ensemble der Tonne. Langen Rohren entlocken sie mystisch raunende Didgeridoo-Töne. In einem Gedicht setzen sie ihre Hoffnung auf Utopia. Schließlich sind wir auf der Tribüne angekommen, bereit fürs Finale. Unter uns breitet sich das Panorama der Becken aus. Die jungen Leute vom Tonne-Jugendforum treiben auf einem Plastikfloß übers Wasser. Sind sie Schiffbrüchige? Sind sie Urlauber? Im Wechsel erzählen einen bizarren Traum von einem Seeungeheuer am Angelhaken.

Nixe auf dem Sprungturm

Die berockten Seemänner formieren sich zum Schirmtanz. Chrysi Taoussanis singt auf der Tribüne mit Bertolt Brecht von der Revolution, die die Mächtigen fortspült wie ein gewaltiger Wasserstrom. Hoch droben auf dem Sprungturm ist Ulrike Härter das Liebe suchende Wasserwesen aus Antonín Dvoráks Oper »Rusalka«. Es ist der Moment des Abends, wenn ihre Stimme rein und unverstärkt über der Beckenlandschaft schwebt, als werde sie aus weiter Ferne herangeweht.

So gleiten Musik und Tanz und Bilder vorüber, immer geheimnisvoll, weil sich die Geschichte dahinter nie offenbart; und das Freibad mit seinen Bäumen, Becken, Rutschen, Türmen spendet dazu die verzauberte Kulisse. Insgesamt ist das alles mit eineindreiviertel Stunden ohne Pause ein bisschen lang; hier und da mag man bedauern, dass alles gar so assoziativ bleibt, die Figuren letztlich nicht greifbar werden. Aber eine ganz eigene Poesie zwischen Tanz, Musik und Wasserplätschern entfaltet der Abend auf jeden Fall. (GEA)