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Aktuell Oratorium

In wohlgeformter Klanggestalt

Der Philharmonia Chor Reutlingen und Musiker der Philharmonie mit Händels »Messias« in der Stiftskirche

Mitglieder des Philharmonia Chors in der Tübinger Stiftskirche.  FOTO: ADAMER
Mitglieder des Philharmonia Chors in der Tübinger Stiftskirche. FOTO: ADAMER
Mitglieder des Philharmonia Chors in der Tübinger Stiftskirche. FOTO: ADAMER

TÜBINGEN. Der Philharmonia Chor Reutlingen unter der Leitung von Martin Künstner führte das Oratorium »Der Messias« von Georg Friedrich Händel in der Tübinger Stiftskirche auf und punktete dabei vor allem durch junge talentierte Vokalsolistinnen und -solisten. Das ursprünglich geplante Neujahrskonzert 2022 wurde in deutscher Sprache gesungen und umfasste eine leicht gekürzte Fassung des dreiteiligen Werks (Ankündigung und Geburt Christi, Passion und Endzeit).

Von Beginn an entfaltete das Orchester aus Mitgliedern der Württembergischen Philharmonie Reutlingen eine gute Balance in der Vielfalt der einzelnen Abschnitte und brachte damit ganz unterschiedliche Interpretationsspielräume hervor: Während im instrumentalen Anfang (Sinfony) noch der schwere und dunkle pathetische Zugang hocheffizient ausgekostet wurde, offenbarte sich etwa in Nr. 15 »Ehre sei Gott« (Chor und Orchester) eine klanglich festliche Interpretation, die leicht und vital durch die polyfonen Passagen führte.

Im großen Kirchenraum der Stiftskirche erwiesen sich ein paar Höhepunkte des Oratoriums dennoch fast als zu klangdicht und die thematischen Leitlinien schienen vereinzelt zu verschwimmen. Wenngleich die Trompetensoli und die beachtliche Intensivität des klein besetzten Orchesters die frohe Botschaft des zweiten und dritten Teils zelebrierten, wünschte man sich etwa im bekannten Halleluja-Abschnitt (Nr. 42 Chor) oder in der Pifa (Nr. 13) feiner differenzierte Abstufungen, um in der kathedralen Klangatmosphäre dennoch die Vielschichtigkeit des Werkes auskosten zu können.

Kräftige Tongestaltung

Aus vokaler Perspektive war ein junges und vielversprechendes Solistenquartett zu hören: Johanna Pommranz (Sopran) zeichnete sich durch eine saubere und präzise gestützte Interpretation der Arien und Rezitative aus und Mirjam Kapelari (Mezzosopran) entwickelte mit ihrem dunklen, warmen Timbre eine tiefe Ausdruckskraft. Der für den erkrankten Jo Holzwarth eingesprungene Daniel Schmid (Tenor) führte als sorgfältiger Erzähler durch die beginnenden Abschnitte der Ankündigung Christi und behielt seine filigrane Leichtigkeit auch in den sauber ausgeführten Koloraturen. Herausragend gestaltete Matthias Bein (Bassbariton) seine Interpretation und verzauberte vom ersten Einsatz an durch seine wunderbar vollkommene und kräftige Tongestaltung.

Der Philharmonia Chor zeigte sich mit einer überaus soliden Leistung, die durch eine übergreifende Energie und ansteckende Freude des umfangreichen und herausfordernden Werkes spürbar wurde. Die vokalen Meilensteine in Händels außergewöhnlichem Werk verinnerlichte der Chor einfühlsam und strebte gemeinsam zu einer begeisternden musikalischen Idee.

Festliches Glanzlicht

Im Hinblick auf die vielen Feinheiten offenbarten sich jedoch noch ein paar unscharfe Details: Obgleich der Nachhalleffekt in der Stiftskirche generell raumakustische Schwierigkeiten mit sich bringt, vermisste man an einigen (auch nicht fugenhaft angelegten) Passagen die effektive Textdeutlichkeit des Chores. In den komplex angelegten Koloratur-Passagen zeigten sich so manche klanglichen Ausreißer in den einzelnen Stimmgruppen, deren Übergänge oftmals zu offen und flach intoniert zu hören waren.

Abseits dieser kleinen Einschränkungen entstand mit diesem pandemiebedingt verspäteten Neujahrskonzert 2022 ein prächtiges musikalisches Großprojekt, das die christliche Botschaft Händels in wohlgeformter Klanggestalt realisierte und interpretierte: Martin Künstner verstand es, die jungen Vokalsolisten zusammen mit dem familiären Orchester und dem angespornten Philharmonia Chor zu einem festlichen Glanzlicht in die Stiftskirche zu formieren. (GEA)