TÜBINGEN. Hingebungsvoll und erlösend war das Zusammenspiel von Flügel, Mezzosopran und Sopran in der Tübinger Stiftskirche unter dem Titel »Tilge, Höchster, meine Sünden«. Das Abendprogramm mit den studierten Sängerinnen Susan Eitrich (Sopran) und Sarah-Lena Eitrich (Mezzosopran), begleitet von Florian Kunz am Bösendorfer-Flügel, gestaltete sich in einem kurzweiligen, wirkungsvollen Spannungsbogen. Rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich in der Kirche eingefunden, um dem besinnlichen Klangerlebnis zu lauschen.
Das erste Stück, »Zion streckt ihre Hände aus«, stammt aus dem Oratorium »Elias« von Felix Mendelssohn. Zehn Jahre hatte sich der Komponist mit der Geschichte des biblischen Propheten Elias auseinandergesetzt, bis das Werk im August 1846 beim Birmingham Triennial Music Festival uraufgeführt wurde. Bis heute zählt das Oratorium zu den bekanntesten Werken Mendelssohns.
Hinwendung nach innen
Die ausgefeilten Stimmen von Susan und Sarah-Lena Eitrich vereinten sich als Sopran und Mezzosopran geschmeidig-spielerisch und intonierten treffsicher die klagende, flehende Botschaft, die Mendelssohn mit einer reinen Schlichtheit in Musik übersetzte: »Zion streckt ihre Hände aus, und da ist niemand, der sie tröste.« Behutsam, zurückhaltend und dennoch tragend begleitete Florian Kunz die Sängerinnen.
Es folgte eine rein instrumentale Darbietung, in der Kunz den Zuhörerinnen und Zuhörern eine besinnlich-träumerische Hinwendung nach innen ermöglichte. Gekonnt trug der studierte Kammermusiker Wolfgang Amadeus Mozarts »Fantasie c-Moll« (KV 475) vor. Mit perfekt akzentuierten Klangbögen, wohlplatzierten Pausen gestaltete er die facettenreiche Komposition, mal suchend, mal heiter, geprägt von spielerischer Leichtigkeit, dann wieder leidenschaftlich flirrend, geerdet, gestoppt und aufgefangen durch tiefe Zwischentöne, deren voluminöser Klang am leicht geöffneten Bösendorfer-Flügel seinen Weg in die Weiten des Kirchenschiffs fand.
Hingebungsvoll offenbarten die Sängerinnen, begleitet von Kunz, Johann Sebastian Bachs Arrangement »Tilge, Höchster, meine Sünden« (BWV 1083) aus Giovanni Battista Pergolesis »Stabat Mater« von 1736. Um das Werk in der Leipziger Liturgie aufführbar zu machen, ersetzte Bach die originale mittelalterliche Stabat-Mater-Sequenz durch eine gereimte Fassung des 51. Psalms und integrierte die neu unterlegte Textführung, indem er die Melodieführung der Solostimmen an verschiedenen Stellen etwas abänderte. So entstand ein glanzvoller Spannungsbogen, der zunächst in melancholisch-molligen Tönen verweilte.
Ansteigende Spannung
Zart umhüllte Mezzosopranistin Sarah-Lena Eitrich die Sopranstimme von Susan Eitrich, die ihren Part mit ruhiger Besonnenheit vortrug. Mit einem hurtig fliegenden Klavierklangteppich, auf dem die Sängerinnen ihre Zeilen treffsicher und gekonnt platzierten, führte Kunz zu einem der schönsten Klangerlebnisse des Abends: Unerwartet verfiel er in rasch herabkletternde Klavierklänge. Dazu kontrastierten die Sopranistinnen in zweistimmigem Gesang – leidenschaftlich, bittend und flehend ließen sie die Spannung zunehmend anschwellen und steigen.
Der Schluss des Psalms gestaltete sich in einer Wiederholung aus fröhlichen, zuversichtlichen Klangfolgen und entließ die Zuhörerinnen und Zuhörer mit einem heiteren, erlösten Gefühl in den Abend. (GEA)