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Im Kunstmuseum Reutlingen schlägt die Installation eines Künstlerduos in Bann

Was beim Sehen im Kopf passiert, das erkundet eine Installation des Künstlerduos atelierJAK von Freitag an im Kunstmuseum Reutlingen.

Das Künstlerduo atelierJAK (Andreas Geisselhardt und Jangyoung Jung) in seiner Ausstellung »What You Get Is What You See« im Kun
Das Künstlerduo atelierJAK (Andreas Geisselhardt und Jangyoung Jung) in seiner Ausstellung »What You Get Is What You See« im Kunstmuseum Reutlingen. Foto: Christoph B. Ströhle
Das Künstlerduo atelierJAK (Andreas Geisselhardt und Jangyoung Jung) in seiner Ausstellung »What You Get Is What You See« im Kunstmuseum Reutlingen.
Foto: Christoph B. Ströhle

REUTLINGEN. »Damit fahren wir wieder mit voller Kraft«, kündigt der Leiter des Kunstmuseums Reutlingen, Stephan Rößler, im Hinblick auf die Ausstellungsaktivitäten an. »Wir haben Carrara mit 'Falscher Marmor und glühende Sterne' in den Wandel-Hallen, 'HAP Grieshaber und der Bauernkrieg' im Spendhaus und dort, am Freitag eröffnend, auch eine Schau des Künstlerduos atelierJAK.«

»What You Get Is What You See« heißt die neue Ausstellung, die sich im Spendhaus über zwei Stockwerke erstreckt. Der Titel wandelt die viel verwendete Formel »What You See Is What You Get« ab, mit der gemeinhin signalisiert wird, dass die Dinge genau so sind, wie sie einem erscheinen. Andreas Geisselhardt und Jangyoung Jung hinterfragen mit ihrer Kunst, ob das tatsächlich so ist. Was ist real, was sehe ich wirklich? Was entsteht erst durch das, was in meinem Kopf passiert?

Szenenbilder und Requisiten

Das Künstlerduo atelierJAK (Jangyoung Jung und Andreas Geisselhardt) ist genau an dem Zwischenraum zwischen Wirklichkeit und Fiktion interessiert und entwickelt in Videosequenzen, einem Storyboard, Szenenbildern und Requisiten seit dem Jahr 2011 von Ausstellung zu Ausstellung sein Filmprojekt »Soul Blindness« weiter. Dessen Hauptcharakter JAK - eine vom Duo ersonnene Stellvertreterfigur für den wahrnehmungspsychologischen und phänomenologischen Diskurs - ist von visueller Agnosie, im Deutschen auch Seelenblindheit genannt, betroffen. Diese neurologische Störung ist durch die Unfähigkeit gekennzeichnet, visuelle Informationen trotz normaler Sehschärfe zu erkennen oder zu interpretieren. Betroffene können Objekte, Gesichter oder Orte zwar mit den Augen erfassen, diese aber nicht identifizieren oder ihre Bedeutung verstehen.

In diese Welt nehmen Jangyoung Jung und Andreas Geisselhardt die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher mit hinein, indem sie den Verlust von Sinn und Bedeutung visuell erfahrbar machen. Je mehr man ins JAK-Universum eintauche, umso mehr bekomme man Argumente und Werkzeuge an die Hand, um den Prozess des Sehens zu beschreiben, sagt Stephan Rößler, der die Ausstellung zusammen mit Johannes Krause-Schenk kuratiert. Man bekommt auch einen Eindruck davon, wie komplex es ist, vom Sehen zum Erkennen respektive zum Zuordnen von Dingen zu kommen. Einem Zuordnen, das kulturellen Prägungen unterliegt, auf Interpretationsmuster zurückgreift.

Aufgefächerte Einzeleindrücke

Jangyoung Jung und Andreas Geisselhardt fächern beispielsweise bildliche Einzeleindrücke in 162 Acryl-Miniaturmalereien auf Overhead-Folie in Epoxidharz auf, zusammengefügt zu einem Mobile. Es sind Standbilder aus dem Storyboard ihres Films. Insgesamt legt dieser Teil ihrer zweiteiligen Installation im Spendhaus - wie die Ausstellung als ganze mit »What You Get Is What You See« betitelt - mit Filmarchitektur und Requisiten die Arbeitsweise des Duos in Serien wie unter dem Mikroskop offen.

Der in Leonberg geborene Andreas Geisselhardt erklärt, dass bei einem Filmproduktionsprozess »alles, was man hier sieht, auch passiert - nur sind die Dinge nicht sichtbar. Man sieht das Endresultat eines Spielfilms. Alles andere wandert in den Keller und wird nie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.« Mit der Installation verbinde sich nicht zuletzt auch der Gedanke, einmal zu zeigen, wie groß der Aufwand ist, drei Minuten Film zu realisieren. Drei Minuten sind es pro Ausstellung, die das Künstlerduo atelierJAK an seinem auf 90 Minuten angelegten Film strickt. Zuletzt waren Jangyoung Jung und Andreas Geisselhardt damit im südkoreanischen Seoul zugange. Jangyoung Jung ist im koreanischen Busan geboren. Er und Geisselhardt haben sich während des Studiums an der Kunstakademie in Stuttgart kennengelernt. Die Künstlerfreunde leben und arbeiten in Deutschland und Korea.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »What You Get Is What You See« von atelierJAK ist im Kunstmuseum Reutlingen im Spendhaus, Spendhausstraße 4, vom 17. Oktober 2025 bis zum 12. April 2026 zu sehen. Die Vernissage ist am Freitag, 17. Oktober, um 19 Uhr. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Schließtage sind Heiligabend, Silvester und Karfreitag. (GEA)

Um den zweiten Teil der Installation zu sehen, betritt man den abgedunkelten Ausstellungsraum im Erdgeschoss. Die verdichtete, immersive Videoarbeit »Soul Blindness (Part 3)« nimmt diesen komplett ein. Das Künstlerduo hat sie für diesen Raum entwickelt, lädt damit zur Kontemplation ein. Ohne Ton, mit sich langsam über Boden, Pfeiler und Wände bewegenden Textzeilen aus dem Filmdrehbuch und Bildern, die den ganzen Raum, auch die Körper der Ausstellungsbesucherinnen und -besucher als Leinwand begreifen. Unter den Projektoren sticht ein riesiges Dia-Set, eine Art Daumenkino ins Auge. Hell strahlend und geheimnisvoll. Fast so, als verwalte hier Meister Hora aus Michael Endes Roman »Momo« die Zeit. (GEA)